MEXICO

EXIL 9813-2
LC 08972

DISTRIBUTION: INDIGO

Während weite Teile Südamerikas und der Karibik mittlerweile fest in unseren weltmusikalischen Gehörgängen verankert sind, gibt es doch immer noch ein amerikanisches Riesenland, aus dem uns eigentlich mehr Klischees als spannende Klänge erreichen. Pathetisch schmetternde Herren in engen Anzügen und enormen Hüten, der "La Bamba"-Ohrwurm von Los Lobos und tequilagetränkte Trompetensignale à la "Lonely Bull" - ist das wirklich Mexiko? Nachhilfe ist angesagt. Die vorliegende Auswahl läßt uns drei Spielarten des Son (den gibt es nicht nur auf Kuba!) entdecken, das vielfältige Erbe aztekischer Kultur, die rockenden Conjuntos des Nordens und innovative Songschreiberinnen aus der Heimat und dem Exil.

Mit einem hinreißenden Naturbild eröffnen wir die Reise zwischen knochentrockener Wüste und verschwenderischer Tropenlandschaft. "El Tecolote", die Eule, steht im mexikanischen Son wie viele Tiere stellvertretend für den in Liebe und Lust gefangenen Sänger: "Wäre ich eine Eule, würde ich nicht fliegen wollen, ich würde viel lieber in meinem Nest sitzen und meine Jungen aufziehen". Wer dies hier vorträgt, ist eine der Hauptfiguren der mexikanischen Folklore, Gerardo Gutiérrez Bernal. Mit seiner Formation La Calaca stellt er die typische Besetzung einer mexikanischen Band vor: Geige, die Gitarren vihuela und jarana, sowie das gemütliche Bass-fundament des sechssaitigen guitarrón. Der zweite Beitrag von Gutiérrez‘ Mannen bringt uns ins Zentrum der son huasteca-Tradition, der virtuosesten unter den mexikanischen Son-Facetten: schwungvoll-leidenschaftliche Geige wetteifert mit dem pathetischen Falsettgesang der beiden Leadsänger. Beklagt wird der Tod eines huapangero, Einwohner der Huasteca-Region, dessen Geist nun nächtens zwischen den grünen Kaffeplantagen herumirrt. Selbst Linda Ronstadt war von diesem dramatischen Zwitter zwischen son und ranchera so begeistert, daß sie ihn auf ihrem Album Las Canciones De Mi Padre verewigte.

Eine wunderbare Synthese aus profunder Musikrecherche und lebendigem Revival vergessener Tradition hat Claudia Martínez geschaffen. Nach dem Studium in Mexico City widmet sich die Vokalistin ganz der Musik und Sprache des Indio-Volkes Zapoteca aus der Landenge von Oaxaca. Gerade der ungewohnte und im besten Sinne primitive Klang des Zapotecanischen ist es, der ihr hilft, eine Ausdrucks-Spannweite zu erzeugen, die von naiver Unbekümmertheit bei der Interpretation von Wiegenliedern bis zu beachtlich intensiver Leidenschaft reicht. In "Ranchu Gubiña" gesteht sie einem verschlafenen Nest an der staubigen Bahnstrecke zur Provinzhauptstadt Juchitan ihre Liebe.

Eine Miniatur und Jugendsünde öffnet das Tor zur Vergangenheit einer Band, die viele von uns vor allem mit Orangensaft assoziieren: "La Bamba" ist zwar der bekannteste Song von Los Lobos, die mit ihrer cleveren Kopplung aus Texmex und Rock‘n‘ Roll weltweit Erfolge einheimsten, doch ihre ersten Meriten verdienten die Jungs in folkigeren Gefilden: Als Teenager nahmen sie 1977 ihr erstes Album "Just Another Band Fom L.A." auf und frönten den Songs, die sie als Grünschnäbel gehört hatten. Mit "Flor De Huevo" hat Putumayo die erste Komposition der "Wölfe" überhaupt ausgegraben - im son jarocho-Stil von der Golfküste wird etwas anzüglich die "Eierblume" gepriesen.

Ebenfalls auf dem Terrain des son jarocho aus Veracruz tummeln sich Conjunto Jardín. Nimmt man die Lage der Hafenstadt auf der Landkarte unter die Lupe, erstaunt es wenig, daß sich im jarocho neben indigenen Färbungen sowohl spanisches als auch afrikanisches Erbgut eingenistet hat. Veracruz war für fünf Jahrhunderte wichtiges Schleusentor für das gesamte Land. Die mittlerweile in L.A. ansässige Band besingt mit perlender Harfenbegleitung ein betörendes weibliches Wesen zwischen Hexe und Verführerin ("La Bruja").

Zwei Duette mit zapotekanischer Basis reihen sich an: ein Instrumental ("Mediu Xiga") aus der Hochzeitszeremonie aus Salina Cruz an der Pazifikküste signalisiert den Gästen, daß sie nun mit ihren Geschenken am frischgebackenen Paar vorbeidefilieren dürfen. Alberto Rios brilliert hier am requinto, der kleinen Gitarre, die für die Gegend um die Meeresenge von Tehuantepec charakteristisch ist. Mit Gesangseinlage begegnen uns Los Hermanos Rios (Alberto und sein Bruderherz Plutarco) nochmals in "Son Huini".

Die beiden Zapoteken Tinito Y Porfirio präsentieren einen all-time-favourite des gesamten mexikanischen Repertoires, der von Region zu Region mit völlig verschiedenen Texten gesungen wird - im schmelzenden Duogesang wird hier die Schönheit von "La Petrona" mit der einer kastilischen Rose verglichen. Bis in die frühen Achtziger waren der blinde Tinito Fortino Barroso und sein Führer Porfírio Romero in Bars und bei Festen der Region am Isthmus von Tehuantepec gern gesehene Gäste.

Zur jungen Generation kreativer Mestizen gehört Lila Downs, die mütterlicherseits indianisches Mixtec-Blut in ihren Adern hat, der Vater dagegen ist Amerikaner. Sowohl der spanischen als auch verschiedener indigener Zungen (Mixtec, Zapotec, Nahuatl) hat sich die 32jährige verschrieben und bricht mit ihrer ausdrucksstarken, fast klassischen Stimme auf jedem ihrer Alben zu neuen zeitgenössischen Klanglandschaften auf. Die ausgewählte Aufnahme stammt von ihrem 1997er-Werk La Sandunga und handelt von der untreuen "Naila", die von ihrem Liebhaber zur Rückkehr beschworen wird.

Mit Binni Gula`za kehren wir nochmals in die Provinzstadt Juchitan, Zentrum der Zapotec-Kultur zurück. Das Gitarrentrio - zwei der partizipierenden Herren sind schon in ihren stolzen Siebzigern! - hat sich auf den Vortrag romantischer Balladen kapriziert und schließt sowohl den son istmeño als auch die einschägigen Boleros ein. Bittere Liebe ist auch hier das Thema: ein Witwer kehrt nach dem Tod seiner Frau immer noch zum einst lauschigen Treffpunkt zurück. ("Ra Bacheeza").

Seit vier Jahrzehnten siedelt Ramón Ayala im Kerngebiet des norteño, der Musik der nördlichen Gebiete Mexikos. Als Akkordeonist, Sänger und Produzent hat er sich vor allem mit seinen Los Bravos Del Norte einen Ruf als einer der wichtigsten Musiker Mexikos erwerben können. Die bodenständigen Klänge der conjuntos aus dem Norden lassen unverkennbar auch Erinnerungen an die deutsche Polka aufkommen, die durch Einwanderer ihre Spuren hinterlassen hat - nicht nur Santiago Jiménez beteuert hier, eine deutsche Großmutter zu haben! Im ranchera "Andan Diciendo" steht der trinkfeste Sänger und Frauenheld dazu, kein Kind von Traurigkeit zu sein und bekräftigt, daß ihm die Verleumdungen seiner Zetgenossen ziemlich egal sind.

Die abenteuerliche Lebensgeschichte der Lhasa De Sela wurde schon anläßlich ihres Beitrages zum Putumayo-Sampler "Latinas" erzählt - daß sie uns hier nun wieder, als progressivster und spannendster Mosaikstein des mexikanischen Kaleidoskops funkelt, freut uns natürlich sehr. Als Tochter eines mexikanischen Schriftstellers und einer US-Amerikanerin lebt sie nach wechselvollem Vagabundieren seit 1990 in Montréal und hat mit Yves Desroisers eine neue Klangsprache zwischen ranchera, Zigeuner- und Zirkusmusik, Cabaret und Chanson ausgetüftelt. Mit ihrer rauchigen bittersüßen Schmacht-Stimme präsentiert sie hier ihre Version eines traditionellen Weihnachtsliedes Mexikos ("Los Peces"), das in der übermütigen Klarinette sogar ein paar Klezmer-Anklänge konserviert hat.

Die Yucatan-Halbinsel, Mexikos "Nase", die auf Cuba hindeutet, ist unsere Endstation. Die geographische Nähe ist mit Sicherheit kein Zufall. Wie zuvor auf Cuba entwickelte sich ab ca. 1900 eine Spielart der trova, ein Genre voller romantischer Liebesballaden zur Gitarrenbegleitung. Die goldene Ära der trova yucateca ist lange vorüber, doch einer hält sie unerschütterlich hoch: Pastor Cervera, nun in seinen Achtzigern, ist ein - quicklebendiges - Relikt einer vergessenen Tradition des mexikanischen Ostens. Und mit "Nuestro Nido" schlagen wir den Bogen zum Anfang zurück: auch hier macht der Liebende von den zärtlichen Bildern des Vogelnestes Gebrauch, um seine Gefühle zu illustrieren.

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