MONICA SALMASO

Trampolim

EXIL 9015-2 | LC 08972 | VÖ: 11.10. 1999 | DISTRIBUTION: INDIGO

Die junge brasilianische Sängerin Mônica Salmaso aus São Paulo belegt ein weiteres Mal, daß nicht nur der musikalische Reichtum, sondern auch das künstlerische Potential Brasiliens schier unerschöpflich ist. Mit ihrem zweiten Album "Trampolim" gibt Mônica einen tiefen Einblick in die "alma lírica do Brasil' - in das lyrische Seelenleben Brasiliens: Ihr Repertoire bezieht sich auf drei wesentliche Charaktermerkmale ihres Heimatlandes - auf folkloristische Figuren, auf die Religiosität der einfachen Leute und den afro-europäischen Synkretismus sowie auf Rhythmen und die ethnische Unterschiedlichkeit der Bevölkerung. Es enthält alte und neue Kompositionen sowohl von Künstlern, die auch bei uns nicht mehr unbekannt sind - wie von Chico Buarque, Edu Lobo oder Dorival Caymmi - als auch von solchen, deren Bedeutung bisher auf Brasilien beschränkt blieb - wie z.B. José Miguel Wisnik, Guinga, oder Vicente Barreto. Außerdem sind in ihm traditionelle Stücke zu finden, unter anderem ein "Worksong" afro-brasilianischer Sklaven. Mit der Art ihrer Interpretation hat sie äußerst erfolgreich versucht, zeitgemäße Formen für das kulturelle Erbe und für das folkloristische Geschehen in Brasilien zu finden und setzt damit eine Tradition fort, die ihren Ursprung in der "Semana de Arte Moderna" von 1922 hat: Seit damals werden Künstler verschiedener Abteilungen immer wieder von der Idee beseelt, nicht nur musikalischen Rohstoff für Europa und den Rest der Welt zu liefern oder vorherrschende internationale künstlerische Stilmittel zu kopieren, sondern auf Grundlage der eigenen, äußerst dynamischen Entwicklung auch selbst mit modernen Ausdrucksformen an die nationale und internationale Öffentlichkeit zu treten. Jedenfalls wurde Mônicas diesbezügliche Kreativität in ihrem Heimatland 1999 mit dem ersten Platz bei einem der wichtigsten Künstlerwettbewerbe gewürdigt (Prêmio Visa de MPB - Edição Vocal). Auch die Top-Musiker, die Mônica bei ihren Studioarbeiten tatkräftig zur Seite gestanden haben, können dieser Künstlerströmung zugerechnet werden - so zum Beispiel der Bassist Rodolfo Stroeter (Pau Brasil), der auch für die Produktion verantwortlich zeichnete, der Perkussionist Naná Vasconcelos, der Ausnahmegitarrist Paulo Bellinati oder der Saxophonist Teco Cardoso. "Für alle diese Musiker", sagt Mônica, "habe ich mich entschieden, weil sie einerseits ganz genau die folkloristischen Strukturen der meisten von mir ausgewählten Musikstücke verstehen, andererseits aber selbst über moderne Ausdrucksmittel verfügen".

Daß Religiosität und Spiritualität auf Trampolim so deutlich zu spüren sind, hängt mit der Zuneigung zusammen, die die Atheistin Mônica Salmaso für einfache Leute und für ihre musikalischen Formen empfindet: "Brasilien ist - seitdem es als Land überhaupt existiert - sehr religiös. Angefangen hat das einerseits schon mit der Kolonialisierung durch Portugal und der damit einhergehenden zwangsweisen Christianisierung durch die katholische Kirche und die Jesuiten, andererseits durch die afrikanischen Sklaven, die ihren Glauben, ihre Kulte und ihre Gottheiten mitbrachten. So koexistieren verschiedene Religionen in meinem Land. Hinzu kamen solche, die sich als Ergebnis von Mixturen auf brasilianischem Boden herausbildeten - brasilianische Religionen also, wie z.B. der Candomblé, in dem sich Katholizismus und afrikanische Mythologie vermengten und in dem katholischen Heiligen gleichzeitig die Funktion von afrikanischen Orixás (Gottheiten) zukamen... Der ärmere Teil der brasilianischen Bevölkerung ist sehr religiös und lebt dies entsprechend aus - so zum Beispiel bei Prozessionen. In "A Permuta dos Santos" geht es um solche Feierlichkeiten. Hier geht es um an die Heiligen gerichtete Bitten, Wunder zu vollbringen während die Gläubigen mit ihren Opfer- und Gabenritualen fortfahren und darauf hoffen, daß ihre Bitten erhört werden und sie ihren Glauben beweisen können. Allerdings hat sich Chico Buarque hier mit seinem Text auf eine kleine ironische Spielerei verlegt: Trotz aller Anstrengungen der Gläubigen erfüllt sich die Hoffnung auf Wunder nicht und die Heiligen müssen zu Fuß zu den Altaren zurückkehren, von denen sie gekommen sind. Diese Bestrafung gibt es in der Realität gewöhnlich zwar nicht, aber einzelne Fälle erinnern an solche Begebenheiten, so z.B. der, wo der Heilige Antonius - der Schutzheilige von Hochzeiten - mit dem Kopf nach unten aufgehängt wird, damit man einen heiratsfähigen Partner findet. Die starke Präsenz von Göttern und Heiligen im Leben und in den Praktiken der Bevölkerung führt zu solch eigenartigen, mitunter komischen Verhaltensweisen.

Ich selbst bin zwar nicht religiös, aber ich fühle mich mit der brasilianischen Religiosität von einfachen Leuten sehr verbunden. Ich habe weder eine religiöse Erziehung genossen, noch habe ich religiöse Musik gesungen. Meine Art zu singen hat sich durch ein breites Spektrum von Musik herausgebildet, die ich in meiner Kindheit gehört und mitgesungen habe: Platten mit verschiedenen Varianten der Música Popular Brasileira, Platten von schwarzen nordamerikanischen Sängerinnen und mit vielen anderen Musikstilen, die wir zuhause hatten. Als ich 18 wurde, habe ich mit Gesangsunterricht begonnen. Dann erst hat sich auch wirklich meine Stimme herausgebildet. Später, glaube ich, haben sich meine Ausdrucksformen noch stark geändert. Von Anfang an habe ich nämlich ganz stark auf das Endergebnis geachtet und mich mit Hilfe von Aufnahmen analysiert. So habe ich ständig an meiner Stimmbildung gearbeitet, an der Akzentuierung von Silben und ihrer Rhythmik und an der Dynamik meines Gesangs".

Der Gesang von Mônica Salmaso läßt sich kaum in Kategorien einordnen - selbst in Brasilien sind Vergleiche mit anderen KünstlerInnen kaum zu ziehen. Ihre brasilianischen Wurzeln - wenn man einmal von der Sprache absieht - sind selbst für kundige Zuhörer nur sehr schwer zurückzuverfolgen. Dennoch tut sich Mônica schwer damit, die von ihr kreierten Ausdrucksformen "World Music" zu nennen: "Ich weiß immer noch nicht genau, was mit diesem Begriff eigentlich erklärt werden soll. Die Möglichkeiten, sich im Rahmen eines Prozesses auszutauschen, der mit dem anderen merkwürdigen Wort "Globaliserung" charakterisiert wird, sind vielfältig geworden. Mir scheint, daß mit "World Music" nur regionale musikalische Ausdrucksformen gemeint sind, die als etwas Exotisches in anderen Teile der Welt vorgeführt werden. Auf der anderen Seite scheint mir aber auch, daß diesem Begriff bereits bestimmte Verquickungen zwischen verschiedenen Kulturen innewohnen. Wie dem auch sei: Ich habe jedenfalls über mich oder meine Art zu singen bisher nicht an solche Zusammenhänge gedacht. In dieser Hinsicht verhalte ich mich sehr intuitiv und vor allem sehr offen. Egal, mit welchem Musiker ich singe: Ich bemühe mich immer um die richtigen "Vibrations", um den richtigen Fluß unserer Musik. Ich glaube, daß mir mein sehr inniges körperliches Verhältnis zu meiner Musik dabei hilft. Richtig ist natürlich, daß ich gerade bei Trampolim folkloristische Musikstücke aus einer zeitgenössischen Perspektive singe. Das war bei meinem ersten Album "Afro Sambas" anders: Hier ging es darum, ein geschlossenes Gesamtwerk - nämlich das von Baden Powell und Vinícius de Moraes - neu einzuspielen. Daß auch ihre Kompositionen stark von der brasilianischen Folklore geprägt sind, war - gerade auch im Vergleich zu meiner aktuellen CD mit ebensolchen Elementen - eher Zufall und ist nur indirekt eine Gemeinsamkeit: Mein Anliegen waren die wunderschönen Afro-Sambas der beiden Künstler - egal, auf welcher Grundlage sie entstanden sind. Aber selbstverständlich wären sie ohne unsere Folklore so nicht zustande gekommen. Daß ich mich im Zusammenhang mit Trampolim für ein Konzept entschieden habe, daß in diesem Punkt dem ersten Album ähnelt, hängt mit meinem Interesse zusammen, ein Album mit Songs aufzunehmen, die der "alma lírica do Brasil' entsprechen. Es bedeutet nicht, daß ich mich bei einer neuen CD wieder genauso entscheiden werde. In meiner Entscheidung, wieder ein ähnliches oder aber auch ein ganz anderes Konzept zu verfolgen, fühle ich mich völlig frei. Ich bin noch zu jung, um mich endgültig auf eine bestimmte musikalische Linie festzulegen. Um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, ob ich mich jeweils möglichst nah am Original wiederfinden will, ich weiß nur, daß ich ehrlich zu mir selbst sein und liebevoll mit meiner Musik umgehen will, und daß ich mich um das höchstmögliche qualitative Niveau bemühe. Die brasilianische Musik ist stark und reichhaltig, und obwohl wir eine furchtbare Massenproduktion in der phonographischen Industrie erleben müssen, die auf Fließbandmusik und garantierte Umsätze abzielt (und auf eine zweifelhafte Qualität), gibt es immer noch sehr viele Künstler, die variationsreiche Musik auf hohem Niveau machen. Nur die hat auf Dauer eine Chance zu überleben, nur an sie wird man sich auch später noch erinnern, wenn die anderen längst wieder von der Bildfläche verschwunden sind".

 

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