TONY
MARTINEZ
& The Cuban
Power
Maferefun
EXIL MUSIK
8903-2
LC 08972
DISTRIBUTION: INDIGO
Alle reden von den Alten und vergessen darüber die Jungen. Der Saxophonist Tony Martínez hat mit La Habana Vive (1998, EXIL 8550-2) gerade mal ein Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Er hat kaum mit den Legenden der Kuba-Renaissance gespielt und es überhaupt vermieden, sich an den vergänglichen Moden weltmusikalischer Trends zu beteiligen. Dennoch oder gerade deshalb gehört ihm die Zukunft.
Martínez gelingt es, wie er selbst zu klingen, ohne die Musik zu dominieren. Souverän bändigt er seinen Gestaltungsdrang und gliedert die eigene Fingerfertigkeit in das Klanggefüge eines größeren Ensembles ein. Er schafft auf diese Weise eine berauschende Kraft der Gemeinsamkeit, die seine Cuban Power von ähnlichen Formationen unterscheidet. Martínez macht dort weiter, wo Irakere aufgehört hat und erweitert die Sprache des Afro-Cuban Jazz um einen neuen, clever anspruchsvollen Dialekt. Denn beiläufig virtuos kombiniert er komplexe rhythmische Netzwerke mit ausgetüftelter Harmonik. Eingängige Melodien verschmelzen mit üppigen, jazzinspirierten Improvisationen. Die Vielfalt im Detail trifft auf die kompakte Klangwirkung der Kompositionen und modifiziert behutsam die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte gefestigten Spieltraditionen.
Der Mensch und Musiker
Martínez ist Evolutionär. Er will nicht zerstören, sondern verändern. Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, hat er sich die Zeit gelassen, eine ausführliche musikalische Ausbildung zu absolvieren. 1968 in der zentralkubanischen Stadt Camagüey geboren, begann Martínez als Kind, sich für die Klangwelt seiner Heimat zu begeistern. Im Alter von neun Jahren bekam er an der staatlichen "Escuela Profesional de Musica Jose White" zunächst klassischen Saxophon-, Klavier- und Gesangsunterricht. Der begabte Teenager gewann drei nationale Musikwettbewerbe und spielte bald in verschiedenen regionalen Ensembles. Schulfreunde brachten ihm damals Charlie Parker, John Coltrane und Cannonball Adderley nahe, deren stilistische Autonomie ihn ebenso beeindruckte wie die Eleganz eines Paquito DRivera oder die Power der nationalen Kaderschmiede Irakere. 1987 schloß er seine Ausbildung als Musiker und Musiklehrer ab, leitete daraufhin eigene folkloristisch orientierte Gruppen und arbeitete als Dozent am Konservatorium von Camagüey.
Mit der Zeit jedoch wurde ihm die Provinz zu eng. Nachdem Martínez einen weiteren nationalen Kompositionswettbewerb gewonnen und in Fachkreisen bereits ein wenig Aufsehen erregt hatte, ging er 1990 nach Havanna, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Die energetische Stadt, die er acht Jahre zuvor zum ersten Mal während der Endausscheidung eines Wettbewerbs kennen gelernt hatte, schlug in ihn ihren Bann. Er schaffte es schnell, in der hart umkämpften Musik-Szene Fuß zu fassen. 1991 schloß Martínez sich der renommierten Combo Mezcla an, tourte mit ihr mehrfach durch Europa und traf mit internationalen Jazzgrößen wie Herbie Hancock und Wayne Shorter zusammen. 1993 ließ er sich in Bern nieder. Seitdem koordiniert er seine Karriere von der Schweiz aus, trat 1998 mit einem umjubelten Konzert am Montreux Jazz Festival in Erscheinung und nahm außerdem sein Debutalbum La Habana Vive an der Seite von Klavier-Star und Landsmann Gonzalo Rubalcaba auf.
Die Zusammenarbeit bewährte sich. Als es darum ging, das musikalische Konzept auf einem zweiten Album noch zu verfeinern, sagte Rubalcaba ohne Zögern zu, zumal sein ehemaliger Weggefährte Julio Barreto am Schlagzeug saß. Zur dreizehnköpfigen Crew, die sich im Sommer 1998 in Martínez Wahlheimat traf, gehörten außerdem Koryphäen wie der Irakere-Trompeter Julio Padrón und der Conga-Spieler Miguel "Angá" Diaz. Es entstand "Maferefun" (Yoruba-Sprache für "Segen"), ein Panoptikum musikalischer Perspektiven in acht Variationen, wie es nur in der kreativen Distanz der Ferne sich entwickeln kann. Denn losgelöst von den Spielzwängen der Latin-Puristen, konnten sich die Musiker ungehindert entfalten. Mit tanzbarer Leichtigkeit wurden sie dem Titel des Albums gerecht, Spaß und Intellekt zu verbinden. Denn darin liegt der Segen, die Seele der Musik.
Die Musik
1. Tumbao Pa Mi Timbal
ist die Hommage an ein Instrument, das Martínez schon lange fasziniert.
Als er vor kurzem ein Timbales-Paar geschenkt bekam, beschloß er, dem
markant scharfe Klang der flachen Metalltrommeln eine eigene Komposition zu
widmen. Auf der rhythmischen Grundlage der Tumbao hätte es ein Son werden
können. Den Solisten aber lag der improvisierende Charakter der um eine
eingängige Motividee gruppierten Passagen am Herzen. So wurde daraus
eine reizvoll unbeschwerte Latin-Jazz-Melange.
2. Gracias Chucho verbeugt
sich vor Jesús "Chucho" Valdes. Der Pianist und langjährige
Leiter der Formation Irakere ist eine Vaterfigur des kubanischen Jazz.
Seine Angewohnheit, üppige Akkordkaskaden perlen zu lassen, hat in der
Salsa-Szene ebenso Spuren hinterlassen wie der kompositorische Kunstgriff,
die am Bebop orientierten Up-Time-Bläsersätze in afrikanisch pulsierende
Rhythmen zu integrieren. Rubalcaba und Martínez denken diese Idee weiter
und ergänzen das Klanggefüge um komplex alterierte Improvisationen
und expressive Ausdrucksformen der jazzenden Moderne.
3. Pa Lo Latino
ist eine Descarga, eine kubanische Jam-Session. Vergleichsweise einfach strukturiert
lebt das Stück von den dynamischen Akzenten der punktierten Bläsersätze
und den ausgelassenen Improvisationen. Martínez präsentiert sich
als Pianist mit der Vorliebe für Block Chords und wuchtige Harmonisierungen.
Der Rest ist disziplinierte Spontaneität im raffinierten Wechselspiel
zwischen dem Ensemble und den Solisten.
4. Cha Cha Cha Para Mi Alma. "Nachdem ich so viel für andere komponiert habe, mußte ich einmal etwas für mich selbst schreiben", meint Martínez. Der Cha Cha Cha für meine Seele profitiert von Rubalcabas differenzierter Kunst der Phrasierung. Er kombiniert die atmosphärischen Sounds der Keyboards mit dem Saxophon-Ton Jay Beckensteins - ein Hauch von Spyro Gyra aus den Zeiten, als sie noch die beste Fusion-Band der Szene waren.
5. Mr. Coltrane ist Martínez
Resümee der Erfahrungen mit der Musik John Coltranes. Was Gracias
Chucho bereits andeutete, wird hier näher ausgeführt. Der
rhythmisch autonom wirkende Fluß der Perkussion steht im Kontrast zu
pointiert präzisen Bläser-Setzungen und den weitläufigen Improvisationen,
die sich mal im Stil der gemäßigten Avantgarde, mal mit trancehafter
Intensität über musikalisch lange Distanzen entwickeln. Energie
und Überschwang im komplexen Arrangement-Gewand.
6. Latin Funk ist ein
Ausflug nach Nord-Amerika. Leicht, ohne smooth zu wirken, lässig, ohne
cool zu sein, treffen die musikalischen Stile auf der formalen Grundlage eines
modifizierten Slow-Blues zusammen. Körper-Groove mit Hit-Appeal.
7. Homenaje A Emiliano
erinnert an den 1992 im Alter von nur 41 Jahren verstorben kubanischen Pianisten
und Komponisten Emiliano Salvador. Aufgrund der Platte Nueva Vision,
die Salvador 1979 mit Arturo Sandoval und Paquito DRivera eingespielt
hatte, fand Martínez Geschmack am Jazz. Aufgrund von Rubalcabas vertracktem
Klavier-Solo in Homenaje A Emiliano wiederum werden einige junge
Pianisten an ihren eigenen Fähigkeiten zu zweifeln beginnen. Dieses Stück
ist Gruppenvirtuosität in betörender Perfektion.
8. A Babalú Ayé. Viele Wurzeln der kubanischen Kultur liegen in Afrika. Vor allem die Mythologie der Yoruba aus dem heutigen Nigeria, die zu Kolonialzeiten einen beträchtlichen Teil der importierten Sklaven stellten, hat sich mit ihren Gottheiten (Orishas) auf der karibischen Insel erhalten. In der Santeria-Religion werden ihnen bei Zeremonien von heiligen Trommeln begleitete Lieder gewidmet, die in Melodie, Rhythmus und Inhalt auf afrikanische Quellen verweisen. Babalú Ayé ist die für Krankheiten und deren Heilung zuständige Orisha. Die gleichnamige Komposition nimmt einen traditionellen, rituellen Gesang auf und verwandelt ihn in ein modern harmonisiertes Motivnetzwerk, den Göttern zu Ehren, den Menschen zum Genuß.
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