CUMBANCHA Presents :

ANDY PALACIO & The Garifuna Collective

Wátina

EXIL 822322 / LC 08972/ VÖ:23.2.2007 / DISTRIBUTION: INDIGO
1. Wátina (I Called Out) 4’44”
2. Weyu Lárigi Weyu (Day By Day) 4’24”
3. Miami 3’29”
4. Baba (Father) 4’03”
5. Lidan Aban (Together) 4’46”
6. Gagánbadiba (Take Advice) 4’17”
7. Beiba (Go Away) 4’07”
8. Sin Precio (Worthless) 3’17”
9. Yagane (My Canoe) 2’26”
10. Águyuba Nidúheñu (My People Have Moved On) 5’17”
11. Ayó Da (Goodbye My Dear) 3’31”
12. Ámuyengü (In Times To Come) 5’28”

Belize? Sind wir ganz ehrlich – einige von uns müssen da den Atlas aus dem Schuber ziehen, um nicht ins Fettnäpfchen zu treten. Ungefähr so groß wie Hessen liegt der kleine, erst 1981 unabhängig gewordene Staat auf dem zentralamerikanischen Festland, unter der Yucatán-“Nase” Mexikos, jedoch der karibischen See zugewandt gegenüber von Jamaika. Eine solche Lage zwischen allen kulturellen Stühlen prädestiniert für ein reiches musikalisches Szenario. Herausstechend aus den belizischen Klangfacetten, die von Maya-Tradition über spanische bis zu afrikanischen Einflüssen reichen, ist die Garifuna-Musik der Küstenregion und ihr Aushängeschild trägt den Namen Andy Palacio. Die schillernde Nationalikone führt mit dem weltweiten Release Wátina die Garifuna-Kultur in ein neues Zeitalter tönenden Selbstbewusstseins und schafft ganz nebenbei noch eines der bezwingendsten Alben der modernen afro-karibischen Musik.


Ein wenig Geschichte:
Eigentlich sollten die zwei großen Sklavenschiffe menschlichen Nachschub auf die Zucker- und Baumwollplantagen der Karibikinsel St.Vincent bringen. Doch an diesem Tag Anfang des Jahres 1635 sanken sie vor der Küste des Eilands. Die überlebenden Westafrikaner wurden von den Ureinwohnern der Insel, den sogenannten Kariben, aufgenommen und vermischten sich mit ihnen, so lautet die beliebteste Theorie vom Ursprung der Garifuna (wörtl.: “Menschen, die Yucca essen”). Weitestgehend friedlich verlief die Koexistenz der französischen Kolonisatoren und der freien Schwarzen, bis Ende des 18. Jahrhunderts die Briten nach langem Gezerre zwischen den verschiedenen Seemächten die Herrschaft übernahmen. Sowohl Franzosen als auch Garifuna wurden im sog. Karibenkrieg geschlagen, letztere von den neuen Machthabern St. Vincents auf Inseln in der Bucht vor Honduras umgesiedelt. Von dort aus kamen sie schließlich aufs nahe Festland, später auch nach Guatemala und Nicaragua, und eben auch an die Mangroven-Küste Belizes. Sowohl unter der spanischen Flagge als auch unter der späteren britischen Herrschaft (ab 1862 Kronkolonie Britisch Honduras) trotzte die afro-indianische Volksgruppe in ihrer neuen Heimat dem kolonialen System - und es gelang ihr, bis heute, da die Garifuna 120.000 Menschen zählen (dazu kommen 50.000 im USamerikanischen Exil), eine eigenständige Kultur und Sprache zu bewahren.

Igñeri heißt ihr Idiom, das sich aus Yoruba-Elementen, französischen, englischen und spanischen Bestandteilen zusammenfügt. Ebenso vielschichtig ihre musikalischen Traditionen, die bekanntesten unter ihnen Paranda, Brukdown und Punta. Sie gehen einerseits auf die Überlieferung westafrikanischer Kulte zurück – so findet man in der Punta Call & Response- Schemata und die Bewegungen des Werbetanzes. Indianische Einflüsse sind jedoch auch nicht von der Hand zu weisen, und neben den Trommeln und Perkussionsinstrumenten, siedelt die von den Spaniern adaptierte Gitarre in den Garifuna-Liedern. Textlich unterscheiden sich die Garifuna-Genres erheblich: Im Brukdown werden satirisch Alltagserlebnisse aufs Korn genommen, im Paranda geht es eher um kritische Kommentare zu geschichtlichen und sozialen Ereignissen.

A Man with a mission
Obwohl die Garifuna im heutigen Belize vorrangig als Fischer und Arbeiter auf Bananenfarmen nur 7 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, ist ihre Kultur die wohl bekannteste dieses kleinen Landes. Ihr bis heute einziger weltweit bekannter Vertreter ist ANDY PALACIO, der sich durch ein besonderes Erlebnis im Nachbarland Nicaragua als 18jähriger entschlossen hatte, die verdorrenden Wurzeln seiner Kultur mit neuem Nährstoff zu versorgen. Auf ebenjenem Auslandstrip war er einem alten Garifuna-Mann begegnet, der der festen Überzeugung war, mit seinem Ableben würde die Sprache des afrokaribischen Volkes verloren gehen. Doch dann begrüßte ihn sein junger Bruder aus Belize in der gleichen Zunge. Andy erkannte in diesem Moment, dass es seines Engagements bedurfte, um die Garifuna-Kultur am Leben zu erhalten: a man with a mission.

Palacio stammt aus der südlichsten Garifuna-Siedlung Belizes, Barranco, wo er mit der typischen Mestizo-Kultur aufwächst, die neben den Färbungen Afrikas auch die der Maya-Nachfahren kennt. Zunächst absolviert er eine Ausbildung zum Lehrer, macht aber nebenbei auch schon von seinen Gitarrenkünsten Gebrauch, legt Talent als Sänger und Songwriter an den Tag . In London erwirbt er im Rahmen eines kulturellen Austauschprogramms Kenntnisse für den Aufbau eines Studios, das er Ende der 1980er zurück in der Heimat startet und eine Band um sich schart. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass Andy Palacio zu dieser Zeit das Gesicht der belizischen Musik für immer verändert hat. Zunächst mischt er als Galionsfigur im Punta-Rock mit – ein Genre, das in den 1970ern als Belizes Gegenstück zum kommerziellen Zouk von den Antillen geprägt wurde, sich an traditioneller Perkussion als Basis anlehnt und diese elektronisch aufmöbelt. Palacio schließlich bringt den Punta-Rock zur Perfektion, produziert zahlreiche Dancefloor-Hits wie “Bikini Panti”. Als Mitbegründer der Sunrise Records Studios fördert er zugleich das musikalische Erbe ganz Belizes, bringt Platten mit Marimba-Klängen, Maya-Melodien und kreolischem Folk heraus. Für seine eigene Karriere allerdings bleibt ein Herzblut-Ziel immer vor Augen, die Neudefinition der Garifuna-Roots.

Entscheidend hierfür wird das Meeting mit dem Landsmann Ivan Duran, einem katalanischstämmigen Produzenten, der die “soulful side of Garifuna”, ihren simplen Kern neu entdecken will, eine Abkehr vom zeitweilig zu synthetisierten Punta-Rock . Erste gemeinsame Früchte der Zusammenarbeit zwischen Andy und Ivan auf dessen Label Stonetree Records – bis heute das einzige in Belize - offenbaren sich auf dem auch hierzulande veröffentlichten Album Keimoun (1995), das die Garifuna-Musik mit kubanischem Kolorit paart. Auf dem 1997 erschienenen Nachfolger Til Da Mawnin stärkt er die Verbindungen zur Historie der Garifuna in Richtung St. Vincent, neu an Bord der Africando- Produzent Alejandro Colinas. Doch all dies kann nur als Vorbote des aktuellen Streiches von Andy Palacio namens Wátina gelten.

Wátina: The soulful side of Garifuna
Eine Hütte direkt am Meeresufer – dies war das kreative Setting für die Musiker um Palacio und Duran, um die Songs zu entwickeln. Ihre Equipe, das GARIFUNA COLLECTIVE, setzt sich aus langjährigen Sessionkünstlern von Stonetree Records zusammen, etwa Palacios Paranda-Kollege Aurelio Martinez, der sich in ein paar Nummern die Vocals mit dem Protagonisten teilt. Hinzu treten des weiteren der honduranische Gitarrist Eduardo Cedeño und die 75jährige Paranda-Legende Paul Nabor. Die Genealogie der Lieder ist tief verwurzelt in traditioneller Garifuna-Rhythmik, doch das einfache Ausgangsmaterial wurde mit neuen Arrangement-Kniffen versehen und so der Spirit des Alten clever in eine zeitgenössische Sprache übertragen.

Andys aufgeraut-kraftvolle, beseelte und melancholische Stimme steht im Mittelpunkt der relaxten Trac ks, swingende Offbeats d er E-Gitarre, feines Saitengeflecht von Mandoline, spanischer und Maya-Gitarre siedeln darin, anheizende Perkussions-Spuren und naturbelassene Einschübe der traditionellen Garifuna-Trommeln, als Extra auch mal ein wohlplatziertes Tenorsax. Die Klage um einen Freund, der beim Fischen von einem Krokodil verschlungen wurde, wird zu ruhiger Akustikbegleitung mit bebendem Satzgesang vorgetragen, Reggae-Anklänge und sogar ein wenig Gospel-Flair kommt in einem Stück zum Zuge, das den Vorfahren gewidmet ist. Schelmisch eher das Lied über einen späten Heimkehrer, der von seiner Ehefrau “erwartet” wird, und das Duett zwischen Palac io und Nabor berichtet von einer abenteuerlichen Kanufahrt in der Lagune. Zurückgelehnt und energetisch zugleich – das macht den neuen aktuellen Palacio-Sound aus, der auch als Träger für ein Manifest der Garifuna-Moderne fungiert: In den Texten ruft Palacio immer wieder zur Bewahrung der Sprache und Kultur auf, bittet um Stärke beim Weg seines Volkes in die Zukunft

Ehrensache für Palacio, dass alle Stücke in Igñeri gehalten sind – die bedrohte Garifuna-Sprache wurde - genau wie der musikalische und rhythmische Fundus des Volkes - schon 2001 von der UNESCO mit einem besonderen Prädikat versehen, als Erbe der Menschheit proklamiert (“Masterpieces o f the Oral and Intangible Heritag e of Humanity”). Palacio, der zwischenzeitlich auch als Abgesandter des Kulturministeriums von Belize wirkte, hat mit seinem Album einen wunderbaren Bogen von politischer Sphäre zu beherztem Engagement auf der Bühne und im Studio geschlagen – ein konkreterer Einsatz für die Bewahrung der schwarzen Kultur Belizes lässt sich kaum denken.

Wátina erscheint auf Cumbancha Records, dem neuen Label von Edgar Jacob. Der Ethnologe und Compiler für Putumayo Records legt mit dieser Veröffentlichung auch Zeugnis von seiner langjährigen Verehrung der Garifuna-Kultur ab - in Bälde wird sich diese in einem weiteren Projekt widerspiegeln, das sich speziell mit der Rolle der Frauen in diesem faszinierenden belizischen Genre befassen will.

Andy Palacio etabliert mit diesem Meisterwurf Belize endgültig auf der Weltmusik-Karte und verhilft einer einmaligen afro-karibischen Kultur dazu, ihren Platz im 21. Jahrhundert zu finden.

Anspieltipps:
- “Weyu Lárigi Weyu” (2): Der Rhythmus ist aus dem Garifuna-Ritual Dügü abgeleitet, das als traditionelle Heilungszeremonie abgehalten wird und den Zusammenhalt von Familienmitgliedern garantieren soll. In seinen ergreifenden Vocals bittet Palacio um Führung, Stärke und Heilung in einer verletzten Welt zu einer wunderbar sanglichen E-Gitarre.
- “Lidan Aban” (5): Ein forscher Reggae-Rhythmus im Verbund mit beherzten Antwortchören – hier schlummert wahres Hitpotenzial.
- Gagánbadibá (6): Ein träumerischer Groove, ein trancehafter Chorus und antreibende Drums vereinigen sich zu einer Atmosphäre, die fast ein wenig an die besten Momente des Maliers Habib Koité erinnert.
- “Ámuyengü” (12):”Wer wird in Zukunft noch in der Garifuna-Sprache zu mir sprechen, wer wird unsere Rituale abhalten?”, fragt Palacio im finalen Song. Ein leicht wehmütiges Lied, das zur Bewahrung der Wurzeln ermuntert.

Große Trauer und Niedergeschlagenheit fühlen wir angesichts des plötzlichen und frühen Tod Andy Palacios. Andy starb am Abend des 19. Januar in seiner Heimat Belize. Mehr...

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