Six Degrees Presents

KARSH KALE

BROKEN ENGLISH

EXIL 6779-2 / LC 08972 / VÖ: 21.4.2006 / DISTRIBUTION: INDIGO

1. Manifest () 4‘07"
2. Dancing At Sunset () 6‘46"
3. Beautiful () 5‘24"
4. New Born Star () 5‘59"
5. Free Fall () 5‘11"
6. Driv e () 4‘13"
7. Innocence And Power () 4‘44"
8. Hole In The Sky () 5‘08"
9. Some Things Are O.K. () 6‘24"
10. Louder Than Bombs () 4‘23"
11. City Lights () 6‘02"
12. Rise Up () 5‘57"

“Auf der Suche nach einem Repräsentanten des ‘neuen Sound’ der globalen Kultur genügt es, wenn Amerika seine Ohren auf Karsh Kale richtet.” (Relix Magazin)

Wohin hat sich der Asian Underground verflüchtigt? Mitte bis Ende der 1990er als exotischer Whirlpool aller möglichen Strömungen zwischen Bhangra, Bollywood, Breakbeats, Drum’n’Bass, House, Techno und indischer Klassik gehypt, haben sich die aufgeregten Wogen um das Genre fast in ein Meer der Ruhe geglättet. Ehemalige Protagonisten haben sich zur Zeit auf eher klassische Pfade (Talvin Singh) begeben oder basteln an einer globalen Vision von Flamenco über Subkontinentales bis Soul (Nitin Sawhney). In Indien selbst sorgt das Asian Underground-Vokabular immerhin für einige Aufregung mit MIDIval PunditZ. Westliche Ohren hingegen schmachten derzeit lieber zu Bollywood-Tönen, als einer scharfkantigen Indo-Electronic-Fusion zu frönen. Mit Fug und Recht wollen wir behaupten, dass es vor allem ein Mann aus dem Big Apple ist, der die abenteuerlichen Soundscapes der asiatischen Unterströmungen weiterhin pflegt. Viel mehr: Der Wahl-New Yorker KARSH KALE (sprich: ka-’leh) hat das Vokabular des Ex-Asian Underground zu einem global-urbanen Pop geformt, der Hirn und Herz hat, Handgemachtes und Maschinenmusik symbiotisch kultiviert. Damit bietet er für den weltgewandten Megapolitaner den erstaunlichstenEastWest-Soundtrack, denwirmomentanausfindig machen können. Auf “Broken English”, seinem dritten Wurf, zoomt er noch intensiver in denmannigfaltigen Mikrokosmos seiner Stadt.

Wohl dem Elektronik-Freak, der sic h mit einer klassischen Herkunft erden kann. Wie das bei seinem KollegeTalvin Singh der Fall ist, steht auch KARSH KALEs Klanguniversum auf dem solidem Untergrund einer akademischen Ausbildung. Unser Mann wurde als Sohn indischer Eltern zu London geboren, wuchs jedoch schon in NY auf und spielte lange Jahre Tabla. Sein Interesse galt aber schon früh der E-Seite der Medaille: Tablatronics standen auf dem Speiseplan und mit dieser Spezialität konnte er sich in der neuen Heimat schon bald einen Namen machen. Royale Dub-Prominenz in Gestalt von Bill Laswell wurde auf ihn aufmerksam und so kam es, dass Kale sich inmitten von Schlagwerker-Koryphäen wie Zakir Hussain, Talvin Singh und Trilok Gurtu wiederfand, um bei Laswells Tabla Beat Science mitzumischen. Deren Album Tabla Ma trix (Axiom/Palm Pictures, 2000) offenbart nicht nur sein Können auf dem Trommelpaar Nordindiens, sondern verrät uns auch schon einig es darüber, zu welch ausgefuchster Hexerei Karsh auch auf d en westlichen Drums in der Lage ist. Kollaborationen mit Herbie Hancock, für dessen vielleicht urbanstes Album Future2Future (Columbia, 2001) schlossen sich an, ebenso fand man seine perkussiven Weisheiten auf dem Alb um der äthiopischen Laswell- Gespielin Ejigayehu Shibabaw, kurz Gigi (Axiom/PalmPictures, 2001) verewigt. Und in der Clubszene etablierte er sich mit seinen monatlichen DJ-Sets im Paisley und in Joe’s Pub. Zu diesem Zeitpunkt bildete KARSH KALE schon die Speerspitze des Asian Massive Movement, wie der Asian Undergrond am Hudson und weiter westlich gerne genannt wird. Zeit also, endlich auch solo in die Puschen zu kommen.

Und das tat der Indo-Amerikaner 2001 mit einem gewaltigen Opus: Auf Realize, seinem Six Degrees-Debüt, realisierte KALE all das, was schon Jahre in ihm gebrodelt hatte. Die asiatischen Clubsounds, die zu diesem Zeitpunkt eher den Rückzug aus der Global Music angetreten hatten, erhielten neue Nahrung, es wuchsen ihnen zugleich Flügel. Kale gelang eine Synthese aus sattem Drum’n’Bass, plakativen Monsterbeats und atmosphärischem Programming, komplex tackernden Tablas, luftig schwirrenden Bansuri-Flöten, säuselnden Schalmeien und dem obertonreichen Gesang der indischen Geige Sarangi. Betörende Vokalessenzen steuerten ein halb es Dutzend Sänger bei, unter ihnen der nordindische Maestro Ustad Sultan Khan und die Äthiopierin Gigi. “Ein Aromabad für die Ohren - wer sich für moderne indische Klänge begeistert, schwelgt hier in Glückseligkeit”, jubelte damals der Rolling Stone und vergab mit fünf Sternen die Höchstwertung. Eine derart abenteuerliche Verzahnung war Kales Brüdern aus der British Asian- Szene nie gelungen. Und so machten sich Kompagnons wie Bill Laswell, DJ Spooky, Banco d e Gaia, oder Ming & FS postwendend ans Remixen der Perlen für Redesign: Realize Remixed (Six Degrees, 2002). Alle Kontributoren erhielten -nicht alltäglich in der Branche -von Mister Kale als Dankeschön auch einen Remix eines ihrer Werke.

Die sinnlich-kybernetische Opulenz führte Karsh Kale auf Liberation (Six Degrrees, 2003) fort: Der Tabla Beat Science-Kumpel Zakir Hussain fand sich diesmalein, das Madras Chamber Orchestra fügte den Kreationen eine symphonische Dimension hinzu, Laswell himself verfeinerte die tieffrequentigen Spuren. Sänger Vishal Vaid bestach mit seiner subkontinentalen Vokalkunst. Und die twangy Gitarren von Kirk Douglas verpassten dem Werk hin und wieder einen Indie-Rock-Touch. Alle Tugenden des Albums kulminierten im epischen “Milan”, Kales Tochter gewidmet, deren Sanskritname mit “das Treffen zweier Flüsse” übersetzt werden kann -äußerst treffend auch für die Klangphilosophie des Papas selbst. Der Track zierte auch die hundertste Platte seiner kreativen Heimstätte Six Degrees Records als würdiges Finalstück.

Broken English komplettiert und krönt nun eineCD-Trilogie, die imVerdacht steht, die packendste Klangdefinition eines global denkenden und hörenden New Yorks zu sein. Mit seinem dritten Output legt KARSH KALE eine Gesamtschau auf den Big Apple des Jahres 2006 vor, die mit den Schlagwörtern wie Asian Massive oder Asian Underground nur noch matt beschrieben werden kann. “Diese Musik kommt aus New York, und sie sollte nicht unterschiedlich behandelt werden als alle anderen Klänge aus dieser Stadt”, schleudert er denn auch den Schubladisierern selbstbewusst entgegen. Und er hat recht: Die Bhangra-und Bollywood-Farben, die aus den Apartments der South Asian-Immigranten in Jackson Heights, Queens dringen, der HipHop Brooklynscher und Bronxscher Prägung, die Electronica der Clubs von Chelsea, Lower Manhattan und die Indierock-Sounds von der Lower East Side -all das ist die Essenz von Broken English.Die tönende DNA einer Metropole, die nicht über zwei, sondern mindestens fünf Stränge Erbmaterial zu verfügen scheint.

Um die ganzheitliche Urbanität abzubild en, befahren wieder etliche Mitstreiter die Tonspuren: MC NAPOLEON (Napoleon Maddox) ist einer der rappenden Köpfe der AvantHop-Formation IsWhat?!, die Kritiker schon als Erben der Last Poets und vorreitende Brückenkopfbauer zwischen HipHop und Jazz beschrieben haben. Die außergewöhnliche Sängerin TRIXIE REISS könnte dem ein oder anderen US-Techno-Adepten von dem Projekt The Crystal Method bekannt sein, das auch schon mal für Moby einen Remix abgeliefert hat. In einem völlig anderen Universum wurzelt die Kunst von VISHAL VAID, der Karsh Kale seit seinem Debüt nicht von der Seite gewichen ist: Der Vokalist tut sich in der New Yorker Szene als ausgewiesener Experte des Ghazal hervor, jener persisch beeinflussten Liebeslyrik aus Nordindien. SALIM MERCHANT ist ein Teil des derzeit überaus erfolgreichen Bollywood -Komponistenteams Salim- Sulaiman, agiert aber nicht nur als Soundtracker sondern auch als Sänger. Die ausdrucksstarken Vokalmäander von DIERDRE DUBOIS kennen wir noch vom arabisch-persischen Ethno-Trio Ekova aus Paris -ganz nebenbei bemerkt hat sich Frau Dubois auf Six Degrees auch mit dem Solo-Album One neue Türen geöffnet. Des weiteren funkelt auf Kales Gästeliste der Name SOPHIE MICHALITSIANOS: Die Piano und Cello spielende englische Sängerin erfuhr eine klassische Ausbildung am Konservatorium Sydney und hat nach einiger Zeit in der Indierock-Band Sparklehorse mit The Bells 1 2 unter ihrem Projektnamen Sol Seppy gerade ein erstaunliches romantisches Album für die New Yorker Alternative-Szene geschaffen. Ihre filigrane Stimme veredelt die Großstadtballade “Beautiful”. TODD MICHAELSEN ist ein junger Singer- Songwriter und Gitarrist von Cetacea, einer Band aus Brooklyn, die durch ihre naturverbundene Lyrik auffällt -er bereichert u.a. mit Antikriegs-Versen die lyrischen Zutaten von Broken English. Schließlich und letztendlich haben auch die Delhi-Kollegen MIDIVAL PUNDITZ elektronische Feinheiten eingebracht, und mit SABIHA KHAN ergänzt eine weitere betörende indische Stimme die asiatische Vokalriege auf der weiblichen Seite.

Dieses divergierende Klanggewirr in geordnete Bahnen zu lenken, scheint schier unmöglich. Kales gewagte Expedition durch ein alles andere als virtuell wirkendes New York gerät wid er Erwarten keineswegs zum Chaos-Trip, sondern zum Triumph über den Culture Clash. Dhol-Trommeln und Tablas haken sich bei computergenerierten Drums unter (“Rise Up”, “Manifest”), Rap-Staccato und mal frech-frivole, mal verträumt-coole Urbanität fungieren als schlüssige Antipoden zum Flow indischer Spiritualität (“Manifest”, “Beautiful”, “Free Fall”). Kale schafft relaxte Atmospherics, schichtet dann kreuzmetrische Tablas und Broken Beats übereinander, unterfüttert nach und nach sein Programming mit fettem Bombast (“NewBornStar”, “HoleInTheSky”). Und der Regisseur tritt sogar als Sänger in Erscheinung, erinnert gar ein wenig an das Rock-Charisma eines Bono (“City Lights”). Dazwischen platziert er nachdenkliche Ruhepole mit Anklängen an anglophilen Trip hop (“Innocence And Power”) oder Ambient-Pop à la India (“Drive”). Besonders empfehlen wir folgende Tracks:



Anspieltipps:
-“Dancing Of Sunset” (2): Todd Michaelsens sensible Stimme frontet einen Hybrid aus Poprock, Electronica und indischen Streicher-Intermezzi. Hier erfüllt sich Kales launige Definition seiner eigenen Musik: “Rocktronic Organica”.
-“Free Fall” (5): Ein ungleiches Paar als Motor für einen globalen Chartbreaker: Trixie Reiss’ Sexyness und Sabiha Khans Spiritualität als Hauptakteure in einer krachigen Nummer zwischen Rock und Bigbeat, umflort von schwirrenden Bansuri-Flöten.
-“Some Things Are O.K.” (9): Das “indische” Highlight des Albums: Vishal Viad undSabiha Khan tauchen ins berühmte Kalesche melodische Aromabad; Flöten, Tablas und subkontinentales Saitenspiel umranken das Geschehen.
-“Rise Up” (12): Ein cineastisch aufgeladenes Finale: Bhangra-Rhythmen dienen als Antrieb für ein urbanes Klanggemälde mit mächtigen Keyboard- Bässen und den flexiblen Vocals Sabiha Khans.

Gerade weil es ein selbstverständliches Miteinander so schlüssig vermittelt, ist “Broken English” ein mutiges Statement gegen das xenophobe Klima im aktuellen Amerika.

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