1. Paula Morelenbaum: «Brigas Nunca Mais» (Antônio Carlos Jobim/Vinicius De Moraes) 3”24"
2. Mundo Livre S/A: «Meu Esquema» (Fred Zero Quatro) 4”21"
3. Luca Mundaca: «Há Dias» (Luca Mundaca) 3”51"
4. BossaCucaNova featuring Adriana Calcanhotto: «Previsão» (BossaCucaNova/Adriana Calcanhotto) 3”03"
5. Marcos Valle: «Água De Côco» (Marcos Valle/Paulo Sergio Valle) 4”48"
6. Bïa: «Mariana» (Bia Krieger) 3”14"
7. Katia B: “Parece Mentira” (Katia Bronstein) 3’29"
8. BiD featuring Seu Jorge: “E Depois” (BiD/Seu Jorge) 3’50"
9. Bebel Gilberto: “August Day Song” (King Britt Remix) (Bebel Gilberto/Chris Franck/Nina Miranda) 4’07"
10. Dois Irmãos featuring Mariana de Moraes: “Como Vou Fazer?” (Remix) (Antoine Olivier/Glaucus Linx) 4’43"
11. Marcela: “Os Grilos” (Marcos Valle/Paulo Sergio Valle) 3’07"
12. Marissa: “Saudade Fez Um Samba” (Carlos Lyra/Ronaldo Bôscoli/João Gilberto) 2’56"
Wenn die Fußball-WM dieses Jahr in Deutschland gastieren wird, werden wir uns der ein oder anderen medialen Klischee-Aufwärmung im Hinblick auf Brasilien sicherlich nicht erwehren können. Vorsorglich steuert der neue Themensampler aus dem Hause Putumayo schon mal dagegen: Brasilien nicht als Land des überschwänglichen Samba-Rausches und des lärmenden Trommelfeuers, sondern eher vom chilligen Ende der Skala betrachtet: Feiner Retro-Soul aus São Paulo, leichtfüßiger Drum’n’Bossa aus Rio, ausgetüfteltes Songwriting der Exilanten von New York bis Paris. Berühmte Kinder der Legenden, namentlich aus den Klans der Gilbertos, der Moraes’ und der Menescals treten auf den Plan, flankiert von neuen Stimmen, deren Debütalben noch den Geruch des Presswerks verströmen. Brazilian Lounge könnte als sinnlicher Zwitter aus den vorangegangenen Kollektionen Acoustic Brazil und Brazilian Groove durchgehen: Die mit Dancefloor-Flair und Elektronika betupften Stücke sind etwas eleganter und fließender, die akustischen Perlen einen Tick technischer. Entspannte Strandmusik und anspruchsvolles Cocktail-Accompagnement.
Als Charity-Partner hat sich Putumayo diesmal RUKHA ausgesucht. Die Organisation mit Sitz in São Paulo setzt sich für Straßenkinder ein, indem sie anhand von Bildungs- und Freizeitkonzepten sowie durch Unterstützung der Familien und sozialer Projekte Zukunftsperspektiven schafft. Gleichzeitig arbeitet RUKHA mit Neuro-Psychoanalytikern zusammen, die nach den Ursachen von Gewalt forschen. Mehr Infos unter: www.rukha.org.
Von Antônio Carlos Jobim geht eine direkte Linie zu ihr: Die Sängerin PAULA MORELENBAUM war an der Seite ihres Cello spielenden Gatten Jacques Morelenbaum jahrelanges Mitglied in der Nova Banda, des Bossa-Vaters letzter Band. Nach Jobims Tod war sie an mehreren Projekten beteiligt, die die Bossa Nova auf künstlerisch höchstes Niveau gebracht und ihr damit den Weg ins 21.Jahrhundert geebnet haben, so mit Jobim-Sohn Paulo und -Enkel Daniel im Quarteto Jobim Morelenbaum und später in der betörend schönen, fast klassischen Einspielung Casa, die mit dem Japaner Ryuichi Sakamoto in Jobims Haus aufgenommen wurde. Mit ihrem Soloalbum Berimbaum hat Paula kürzlich eine stimmige und elegante Koppelung von Bossa und Dancefloor geschaffen. “Brigas Nunca Mais” stammt von diesem zweiten Solowerk - einer jener Evergreens aus der Feder des Paares Tom Jobim-Vinicius De Moraes. Noch ein wenig Trivia am Rande: Als Jobim 1963 erstmals durch die USA tourte, gestand ihm die First Lady Jackie Kennedy, dass dieses Kleinod ihr Lieblingslied sei.
Aus der unbestritten fruchtbarsten Musikregion Brasiliens, dem pernambucanischen Recife stammen MUNDO LIVRE S/A. Zunächst die Punkrocker markierend schwenkten die Jungs in den 1990ern auf eine differenzierte Soundphilosophie um und wurden ein Teil des sogenannten Movimento Mangue Beat. Diese Bewegung um den Musiker Chico Science († 1997) versuchte, die regionalen Rhythmen des Nordostens mit einem weltweit verständlichen Vokabular aus psychedelischem Rock, Pop und Rap zu kombinieren. Mit “Meu Esquema” haben wir die Gruppe bei einem ihrer entspanntesten Momente erwischt; Flügelhorn, ruhige Gitarrenlinien und die hauchende Stimme von Bandchef Fred 04 kreieren Dolce Vita-Klänge, die von einem kuriosen Liebesgeständnis begleitet werden: “Sie ist mein Fußballtraining, meine Anatomiestunde, meine spirituelle Erholung, sie ist meine Trauminsel, sie ist genau das, was der Doktor mir verschrieb, sie ist meine Geschichte und meine Evolution.”
Als die Titelliste für diese CD eigentlich schon feststand, kam in den Putumayo-Briefkasten das Album einer jungen Frau aus São Paulo geflattert. Wie wir Brasilophilen bei Exil war auch Dan Storpers Team in New York derart enthusiasmiert von der Musik, dass ein Track aus Day By Day noch unbedingt auf diese Kollektion musste. LUCA MUNDACA heißt die Songwriterin aus dem Staat São Paulo, die völlig autodidaktisch akustische und elektrische Gitarre erlernte, von Anfang an ihre Lieder selbst schrieb. Erfolge hatte sie in der Heimat aber zunächst mit Coverversionen aus dem unerschöpflichen Pool brasilianischer Popmusik. 1999 entschied sie sich nach New York zu wechseln, wurde dort auch wenig später von einem Major gesignt, das im Zuge des 11.September kurz vor dem geplanten Release von Lucas erster CD jedoch einen Teil seiner Jazzabteilung stilllegte. Mit dem Independent-Haus Lumenii Productions hat die Nachwuchsbrasilianerin einen neuen Partner gefunden, einer Karriere steht endlich nichts mehr im Wege. In “Há Dias” entfaltet sie ihre sehr charakteristische, zärtliche und flexible Vokalkraft, gepaart mit einer tollen Elektro-Akustik-Symbiose.
Als der Begriff “Brazilectro” noch hauptsächlich auf die Produktionen europäischer DJs angewandt wurde, die mit brasilianischem Flair experimentierten, war BOSSACUCANOVA eines der ersten Projekte, die dem Rest der Welt zeigten, dass Bossa, Samba und Elektronik auch im Heimatland schlüssig verflochten werden können. Die Macher hinter dem Pult sind die führenden Rio-DJs Marcelino DaLua und Alexandre Moreira sowie Márcio Menescal, Sohn der Bossa-Legende Roberto Menescal. Márcios alter Herr ließ es sich nicht nehmen, bei der jungen Generation mitzumischen, seine Gitarre tönt regelmäßig aus den Rillen der Tracks heraus. Gerne umgeben sich Bossacucanova mit prominenten Sidemen und -women, unter ihnen bislang Marcos Valle, Zuco 103 oder die hier gefeaturete ADRIANA CALCANHOTTO. Die Songschreiberin behauptet seit 15 Jahren einen festen Platz in der Szene am Zuckerhut, wechselt zwischen Rock, stillen Balladen und experimentellen Anflügen mühelos ihre Perspektive. Die coolen, saxophonumsäuselten Arrangements von “Previsão” bilden eine perfekte Leinwand für ihre timbrereichen Vocals.
MARCOS VALLE ist der herausragende Kopf der zweiten Bossa-Welle. Als die ursprüngliche Bewegung auszulaufen schien, sich eher politischen Themen zuwandte, hielt der Sunnyboy aus Rio am unbeschwerten Sonne- und Strand-Schema fest, schuf auf diese Weise ab 1963 Klassiker wie den “Summer Samba” oder “Crickets Sing For Anamaria”, oft im Verbund mit seinem Bruder Paulo Sérgio Valle. Mehrere Aufenthalte in den USA, wo er u.a. mit Airto Moreira arbeitete, sorgten für Popularität auch außerhalb der Heimat. In den 1970ern wechselte er zu einem souligen Easy Listening-Stil, komponierte parallel fürs TV. Auch wenn er nie ganz von der Bildfläche verschwunden war, kam der wahre Erfolg doch erst in den späten 1990ern zurück, als ihn die Rare Groove-Bewegung entdeckte. Wie seine Kollegin Joyce veröffentlicht Valle seine Alben heute auf dem britischen Label FarOut. “Água De Côco” von seinem letzten Werk Contrasts (2003) offenbart, dass dem Altmeister seine Unbeschwertheit auch im upgedateten, funkigen Gewand erhalten geblieben ist.
Der brasilianischen Militärdiktatur hat sie es zu “verdanken”, dass sie schon im zarten Kindesalter fern der Heimat Lebenserfahrungen sammeln konnte. BIA KRIEGERs Eltern leisteten den Restriktionen der Machthaber Widerstand, durften erst im Zuge einer Generalamnestie in den 1980ern zurückkehren. Die Tochter allerdings blieb Nomadin: Nach Beendigung des Studiums in São Paulo kam sie nach Frankreich, wo sie drei Alben veröffentlichte und sich als Kosmopolitesse multilingual gibt, auf Portugiesisch genauso singt, wie auf Französisch, Englisch und Italienisch. Die schmachtende “Mariana” ist eine Originalkomposition aus ihrer Feder und bringt die Tugenden von sanfter Elektronik und MPB-Eleganz zusammen.
Unter den nicht gerade raren neuen Popstimmen an der Copacabana ist Katja Bronstein aka KATIA B. momentan eine der vielversprechendsten. Die Tochter einer Sängerin kommt aus der Rockszene und ist mit João Gilbertos Tochter Bebel befreundet, der wir noch weiter unten begegnen werden. Ihre clevere Schichtung aus balladesk-hauchendem Gesang, Elektronika-Häppchen und funkigem Rhythmus- arrangement birgt denn auch unüberhörbare Referenzen und Reverenzen an den von Bebel losgetretenen Neo-Bossa-Hype. “Parece Mentira” (“Es kommt mir wie eine Lüge vor”) stammt aus ihrem Debüt Só Deixo Meu Coração und befasst sich mit den trügerischen Gefühlen inmitten eines Liebestaumels.
BiD (sprich: “bid-schi”) stellt den derzeit vielleicht coolsten Sound São Paulos auf die Beine: Samba und Soul in ein derart zurückgelehntes Gefüge zu bringen ist schon ziemlich unerhört. Und das bei einem ehemaligen Punkgitarristen! Als solcher machte der Paulista seine ersten Schritte in den 1980ern, bevor er die Koffer für L.A. packte. Sechs Jahre später: Zurück in der brasilianischen Megapolis richtet er sich ein Studio ein, beginnt die Musik alter Sambistas mit elektronischen Skills zu kombinieren, gründet schließlich die Funk-Big Band Funk Como Le Gusta. Mitte der 1990er arbeitet er an den legendären Chico Science-Alben als Produzent mit, schwingt den Regiestock aber auch bei Fernanda Abreu, Daúde und Jorge Ben. Erst im Spätjahr 2004 kommt dann seine erste Soloveröffentlichung, Bambas & Biritas heraus - und auf der profitiert der rührige Soundscaper von seinen langjährigen Bekanntschaften. So sind als Gäste nicht nur die Sambafunk-Veteranin Elza Soares oder Avantgarde-Poet Arnaldo Antunes zu hören, sondern auch der Favela-Shooting Star SEU JORGE. In “E Depois...” gibt sich der Protagonist aus dem Film City Of God ganz sinnlich zu Retro-Arrangements, die stark nach den 1970ern riechen.
Der Name verpflichtet: BEBEL GILBERTO ist die Tochter aus João Gilbertos zweiter Ehe mit Miucha. Zwei Bossa- und MPB-Stars als Eltern zu haben, muss wohl prägen. Doch der Weg der Tochter verlief nicht ohne Steine und Hürden. In New York versuchte sie sich lange ohne den rechten Erfolg, arbeitete mit Arto Lindsay und David Byrne, war 1995 auf dem Album des japanischen Brazil-Freaks Towa Tei zu hören. Erst mit ihrem Soloalbum von 2000, Tanto Tempo, das der jugoslawischstämmige São Paulo-Produzent Suba († 1999) dirigierte, kam der Durchbruch. Und was für einer: Zunächst trat Bebel den Siegeszug in Europa an, danach erkannte Brasilien die Genialität des charmanten Elektro-Bossa-Œuvres. Der Nachfolger, schlicht Bebel Gilberto benannt, konnte 2004 den Craze des Erstlings nicht toppen, beinhaltet allerdings wunderbare Duette: so etwa den “August Day Song” mit der Smoke City-Sirene NINA MIRANDA, die sich kürzlich mit dem Projekt Shrift (Six Degrees Records) zurückgemeldet hat. Eine kongeniale Partnerschaft, der auf der vorliegenden Version der führende Philadelphia-DJ KING BRITT ein kantiges Remix-Krönchen aufgesetzt hat.
Weiter geht es mit prominenten Nachfahren ehemaliger Bossa-Helden. MARIANA DE MORAES ist die Enkelin des Poeten Vinicius De Moraes, der in den 1950ern und -60ern mit Jobim und Baden Powell unsterbliche Brasil-Klassiker gedichtet hat. Für ihre nonchalante Stimme hat sie sich als Companheiros das Duo DOIS IRMAOS ausgeguckt. Das Brainchild von GLAUCUS LINX und ANTOINE OLIVIER kam 1995 in Paris zur Welt, wo der Brasilianer Linx saxophonspielend für Salif Keïta auf den französischen Produzenten Olivier traf. 2004 bastelten die “zwei Brüder” dann in Rio an einem zeitgenössischen Mix, der Samba, Bossa und Elektronik für die Stimmen der lokalen Stars bündelte. “Como Vou Fazer?” stammt aus ebendiesem Projekt und wird hier in einer speziell für Brazilian Lounge erstellten Remix-Fassung dargeboten.
In “Os Grilos” werden Bossavertraute einen der großen Hit von Marcos und Paulo Sergio Valle (s.o.) erkennen, allerdings firmiert er meistens unter seinem englischen Titel “Crickets Sing For Anamaria”. MARCELA MANGABEIRA interpretiert ihn hier in seiner Originalfassung. Die 23jährige, die auch schon als Gastsängerin bei Bossacucanova eingespannt war, welche sich wiederum mit der Produktion ihrer Debütscheibe revanchierten, bringt dem ansonsten rasant gespielten Stückchen einen relaxten Schlenker bei. Und das Bossa-Sängerinnen nicht immer in Rio oder São Paulo wurzeln müssen, belegt sie auch: Senhora stammt nämlich aus dem Staate Mato Grosso.
Zum Ausklang tischen uns unsere New Yorker Freunde eine weitere Tondichtung aus der klassischen Bossa-Ära auf: “Saudade Fez Um Samba” stammt von einem Team aus wichtigen Komponisten der goldenen Jahre, die sich neben dem alles über-strahlenden Gespann Jobim-Moraes behaupten konnten: Carlos Lyra und Ronaldo Bôscoli zeichnen verantwortlich, und João Gilberto hat den beiden damals noch ein bisschen unter die Arme gegriffen. Dem weniger bekannten, aber umso raffinierten Evergreen wird von der Nachwuchs-Cantora MARISSA ein neuer Schliff verpasst, wiederum im Verbund mit den Jungs von Bossacucanova, die für aufgekratztes Samba-Feeling mit einem Schuss Elektronik sorgen. Der Track stammt aus dem gerade im Herbst 2005 veröffentlichten Erstling der Carioca.
In Beats gekleidete Bossa-Klassiker, Samba Soul-Atmosphäre à la Seventies, elegante Neukreationen mit Verpflichtungen gegen-über dem Erbe: Hier offenbart sich, wie bruchlos-elegant sich die musikalische Genealogie von der goldenen Ära über die anschließen-den Popjahrzehnte bis ins elektronische Zeitalter an Brasiliens Küsten vollzogen hat.
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