Trilok Gurtu

Broken Rhythms

EXIL 5539-2 LC 08972 VÖ: 09.08.2004 DISTRIBUTION: INDIGO

Talvin Singh, Nitin Sawhney, die Asian Dub Foundation — viele Gesichter hat die globale indische Szene zwischen Leeds, London, Mumbai und Madras in unseren Tagen. Tablagewitter werden elektronisch mit traditionellen Gesanglinien gemixt, Sitar und Saranghi fließen über dubbigen und technoiden Strukturen. Was in den Neunzigern als der Hype schlechthin aus den Clubs europäischer Metropolen schallte, ist mittlerweile fester Bestandteil der Weltmusikszene. Doch ganz gleich, ob Asian Under- oder Overground — fast alle Kreativköpfe unter den British Asians zitieren immer wieder einen Mann, wenn es darum geht, ihre größten Vorbilder zu benennen: den Perkussionisten Trilok Gurtu. Mit einer ungewöhnlich turbulenten Laufbahn zwischen Bombay und Hamburg mauserte sich der Tabla- und Trommler-Derwisch in 15 Jahren Solowerk zur wichtigsten Referenzgröße im Dreieck Indien — Jazzrock — Weltmusik. Namen wie Don und Neneh Cherry, Jan Garbarek, John McLaughlin, Pat Metheny, Pharoah Sanders, Oumou Sangaré, Angélique Kidjo und Salif Keïta streifen seine Arbeit nicht nur, sondern sind integrative Kräfte seines Schaffens. In einer beeindruckenden Serie gewann er 1994, 1995, 1996, 2000 und 2001 den Downbeat Poll als bester Perkussionist — dies gelang keinem anderen Musiker Indiens. Mit "Broken Rhythms" legt Gurtu sein nunmehr elftes Opus vor. Und auf dem grüßt sich — wie für den Masterdrummer aus Mumbai charakteristisch — Prominenz spartenübergreifend: Thin Lizzy-Rocker Gary Moore lässt seine Sechssaitige aufjaulen, der Obertonchor Huun Huur Tu tönt aus der tuvinischen Steppe hinüber und das Arkè String Quartet füllt die Tracks mit kammermusikalischem Streicherklang auf. Dies alles inmitten eines nach wie vor erstaunlichen und einzigartigen Schlagwerk-Universums, kühn vermittelnd zwischen Ost und West.

Seine Laufbahn

Trilok Gurtu wird am 30.10.1951 in Bombay geboren und seine Vita steht von Beginn an unter einem hochmusikalischen Stern. Der Großvater rangiert als geschätzter Sitarspieler in den Familienannalen, die Mutter ist keine geringere als Shobha Gurtu, eine der führenden, auch im Westen bekannte Sängerin des Ghazal-Stiles, jenes Genre, das im Grenzgebiet von klassischer und populärer Vokalkunst siedelt. Sie wird ein permanenter wichtiger Einfluss für ihren Sohn sein. Schon mit sechs Jahren nimmt Trilok als Schüler seinen Platz am Schlagwerk ein, wird in die Geheimnisse der Tablakunst unter anderem von Ahmed Jan Thirakwa eingewiesen. Früh nimmt er an den Zusammenkünften indischer Musikerberühmtheiten teil, die sich allnächtlich in seinem Elternhaus einfinden. Die Vorlieben eines älteren Bruders schließlich konfrontieren ihn mit außerindischen Einflüssen: Heimlich bedient er sich an dessen Plattensammlung, entdeckt so jamaikanische und afrikanische Sounds. Der BBC World Service tut sein übriges, um Trilok auf globale Einflüsse einzuschwören. Coltrane und der Rock von Jimi Hendrix und Steve Winwood komplettieren die klangliche Rundschau des jungen Trilok.

1973 macht er sich erstmals nach Europa auf, mit dem festen Vorhaben, sein indisches Erbe mit westlichem Rock zu fusionieren. Nach zwei Jahren nomadischen Abenteuers kehrt er aber zunächst auf Wunsch der Mutter in die Heimat zurück, bekommt dort die Chance mit ganz Großen zu spielen, er ihnen die Vokallegende Asha Bhosle und der Bansuri-Virtuose Hariprasad Chaurasia. Parallel verdingt er sich als Komponist für Filmmusik-Sequenzen. Nach einem kurzen Intermezzo in den USA besinnt er sich auf seine Wurzeln. Überrascht von dem enormen Appeal, den indische Musik im Westen zunehmend erregt, wendet er sich von den Rockexperimenten ab, entwickelt einen neuen Aufbau seines Drumkits, den er wie ein Tabla-Set klingen lassen will. Die Ethno-Pioniere von Embryo, die er schon aus Indien kennt, laden ihn — kurz vor Abspaltung der Dissidenten — zu einem gemeinsamen Gastspiel in Europa ein: Und so vollzieht Trilok Gurtu seinen endgültigen Wechsel in die Alte Welt.

Während er Hamburg als zweite Heimat wählt, tritt als erste wertvolle Bekanntschaft im neuen Leben der Jazztrompeter Don Cherry auf den Plan, dem er sich für zwei Jahre anschließt. Cherry fungiert außerdem als ein Mentor, der ihm Tür und Tor zur Jazzwelt öffnet. Teaming-Ups mit Charlie Mariano und Nana Vasconcelos folgen, bis er schließlich in die Stammbesetzung von Ralph Towners Formation Oregon eintritt. Von 1984 an tourt er mit ihnen weltweit, nimmt parallel dazu eine Schlüsselrolle im Quartett von L.Shankar, Jan Garbarek und Zakir Hussain ein. 1987 schließlich veröffentlicht Trilok 35jährig seine erste Solo-Einspielung "Usfret", auf der die Mutter Shobha für die Vokalspuren verantwortlich zeichnet. Es sind ganz persönliche Erinnerung des Sohnes an Lieder, die ihm seine Mama während der Kindheit vorgesungen hatte — nun erstrahlen sie in einem modernen Gewand. Noch einmal schließt sich ein weiter Abstecher von der Solokarriere an: 1988 begibt sich der Inder in die Dienste von John McLaughlin mit dessen neu formierten Mahavishnu Orchestra er vier Jahre lang unterwegs ist. Die Pianistinnen Katia & Marielle Labeque geleiten ihn zwischenzeitlich auf klassische Geleise.

1991 dann die Konzentration auf Projekte unter eigenem Namen. Zunächst spielt er ein Album ein, das durch eine Kollaboration mit Garbarek auffällt. Mit seiner Band The Crazy Saints veröffentlicht Gurtu sodann 1993 eine gleichnamige CD — es bezwingt durch seine konsequente und aufregende Kombination von indischer Vokal- und Tabla-Klassik mit Jazz und Rock, Joe Zawinul und Pat Metheny sind Triloks Gaststars.

The Glimpse aus dem Jahre 1996 widmet er dem verstorbenen Freund Don Cherry — dieser Zeitpunkt markiert auch seinen Eintritt in den Weltmusik-Zirkel. Denn ab nun geben sich auf den Gurtu-Alben nicht nur Größen aus Jazz und Rock, sondern auch illustre Künstlerpersönlichkeiten aus allen Erdteilen die Klinke in die Hand. Die musikalischen Konzepte des Mannes aus Bombay nehmen weltumspannende Züge an.

Auf Kathak teilt sich Neneh Cherry mit Mutter Shobha die Vokalsequenzen, mit dem Toto-Saitenzauberer Steve Lukather stellt Trilok einen Rocker als Gastgitarristen auf. Die African Fantasy von 1999 bezeichnet dann sein magnum opus bis dahin: Vermittelnd zwischen dem Schwarzen und dem Sub-Kontinent gruppiert der Perkussionist die Stimmen von Angélique Kidjo, Oumou Sangaré und der "Zap Mama" Sabine Kabongo (die ihn auch auf Tournee begleitet) mit indischen Vocals, Sitar- und Sarangi-Klängen und einem fast unüberschaubaren Kosmos aus Tabla, Drums und Perkussionsgerätschaften aus allen Kontinenten. In den USA führt das Oeuvre fünf Wochen lang die World Music Charts an. Das von Wally Badarou (Black Uhuru, Joe Cocker, Level 42) produzierte The Beat of Love schließt sich von der afro-indischen Philosophie her nahtlos an, greift stilistisch zwischen Funk und Ambient noch weiter aus und featuret auch männliche Gesangssolisten Afrikas, unter ihnen Salif Keïta. Remembrance, seine letzte CD, markiert einen kreativen Rückzug auf Indien, wo er in einem höllisch hochgepitchten Opener den jungen Wilden des Asian Undergrounds noch mal zeigt, dass eigentlich ER der Vater der Techno-Tabla ist. Inmitten der überragenden CD-Aufnahmen der letzten Jahre trat Trilok bei ganz besonderen Live-Spektakeln auf: So musizierte er im Hyde Park London zum 50. Thronjubiläum der Queen sowie bei einem Konzert in Bombay zum 70. Jubiläum des BBC World Service mit Youssou N’Dour und Baaba Maal. Im Hafen von Kopenhagen trommelte er mit dem koreanischen Perkussionist Samul Nori auf einer schwimmenden Bühne zu den Klängen der tuvinischen Obertonakrobaten Huun Huur Tu. Darüber hinaus fand er noch Zeit für Gastperformances auf Alben von Gilberto Gil, Annie Lennox, John McLaughlin, Lalo Schifrin und Nitin Sawhney. Außerdem beteiligte er sich an "Tabla Beat Science", dem von Bill Laswell initiierten Perkussionisten-Gipfel mit Talvin Singh, Zakir Hussain und Karsh Kale.

"Broken Rhythms" - Das neue Werk

Nun hat Trilok Gurtu neue Energie gesammelt, um einen weiteren Zyklus seines Schaffens in Angriff zu nehmen — dies tut er mit dem überragenden elften, überwiegend in Bombay entstandenen Solo-Album Broken Rhythms.

Die Gästeliste ist äußerst unorthodox: neben dem irischen Gitarren-Hero, dem alten Thin Lizzy-Recken Gary Moore, logieren die tuvinischen Kehlkopfkünstler von Huun Huur Tu und das italienische Arkè String Quartet in der Gästekabine. Letztere sind auf ihren Kreuzfahrten zwischen Klassik, Jazz und Pop auch schon auf einen Lucio Dalla gestoßen und haben sich seit 1996 in ganz Europa einen exzellenten Ruf erspielt. Bombastischer Schlagwerkaufbau und ausgeklügelte rhythmische Breaks als Unterbau zu Hindi-Hymnen und Rock-Exkursionen wechseln mit balladesken Interludien und dem stillen Lied der asiatischen Steppe ab. Neben den drei markanten Prominenz-Eckpfeilern Gitarre, Oberton & Streicher tun sich eine Menge beschlagener Vokalisten hervor. So etwa der indische Soultouch von Sanchita Farruque, die wir vielleicht schon von ihren Auftritten für Nitin Sawhney kennen lernen durften. Richa Sharma und ihr männlicher Kollege Roop Kumar sind weitere Vokalgrößen, die mit Bollywood-Referenzen aufwarten können und sich in Triloks Klangkosmos wunderbar einfügen. Zahlreiche Instrumentalvirtuosen komplettieren das druckvoll, virtuos und einfühlsam agierende Ensemble, unter ihnen der "Teufelsgeiger" Ganesh Kumar und die Sitar-Koryphäe Ravi Chary.

Anspieltipps:

- "Kabir" (2) — über massivem Trommelaufbau liefern sich Richa Sharma und Gary Moore einen unvergleichlich wilden East-West-Dialog. Benannt wurde der Track nach einem indischen Heiligen, den man für seine literarischen Künste schätzte.

- "Nine Horses" (3) — Ein ungezähmter Parforce-Ritt mit unvermuteten rhythmischen Richtungswechseln, verzahntes Ineinandergreifen von Triloks Drum Talking, den seelenvollen Aufschwüngen von Ganeshs Geige und der Textur der Arke-Streicher über hektischem Pianomuster. Die "neun Pferde" sind dem Wagen Krishnas vorgespannt

- "Sohum" (5) — eine fröhliche, vorwärtstreibende Hymne mit der brillanten Stimme von Roop Kumar und bassig schwingendem Drums. Die wunderschönen Harmonium-Linien von Pradep Pandit unterstreichen den Sufi-Charakter

- "Vignola" (6) — komponiert als Widmung an die gleichnamige italienische Stadt. Ist diese Perle ein Meisterstück der cleveren Cross-Culture-Philosophie. Die Streicher- Klänge von Arkè umspielen mal minimalistisch-ätherisch, mal aufbegehrend das Dröhnen und Wispern des throat singings von Huun Huur Tu und die leidenschaftlichen Vokalpassagen von Roop Kumar. Ein durchdachter Spannungsbogen, der als monolithisches Zentrum des Albums dasteht.

 

Pat Metheny, Chico César und The Prodigy beeinflussen ihn nach eigenem bekennen gleichermaßen — und so setzt Weltbürger Trilok Gurtu seine hürdenlose Soundkonzepte auch diesmal wieder in verblüffender Weise um. Italien vermählt sich mit Indien, Tuva mit Tabla — und dies alles so selbstverständlich, das man Mister Gurtu nicht umsonst den Spitznamen Trickslok" angehaftet hat.

 

zurück zur EXIL Homepage
Presse-Infos
oder zum Gesamtkatalog

© EXIL MUSIK GmbH - 91593 BURGBERNHEIM - T 09843-95959 - F 09843-95900 - email: office@exil.de
Abdruck für Presse & Online-Medien erlaubt, Belegexemplar bzw Link erwünscht