The Outernationalists

Ethnomixicology

EXIL 5462-2 LC 08972 VÖ: 18.10.2004 DISTRIBUTION: INDIGO

 

Im Volksmund nennt man so was einen Hans-Dampf-In-Allen-Gassen: Studiert hat er Ethnologie und Soziologie, mischte in der Punk-Bewegung mit, war in den Achtzigern dann der führende Kopf der britischen Acid-Jazz-Formation Working Week. Als die Weltmusik-Welle ihren Zenith erreichte, saß er schon lange mit im Boot, produzierte Baaba Maals "Firin’ In Fouta", ein wegweisendes Album für den neuen Afro-Sound. Seinen unverkennbaren Soundstempel hinterließ er hier wie in der Folge auch auf vielen Alben für Peter Gabriels RealWorld-Label.

Sein Geniestreich auf dem World-Parkett jedoch: Das Afro Celt Sound System, schillernde Schablone für viele, die sich an der Verknüpfung von Globalem und Dancefloor versucht haben. Ja, Gitarrist, Komponist und Produzent Simon Emmerson ist ein wahrhaftiger Tausendsassa, der sich jetzt mit vollem Elan in ein neues Teamwork hineinwirft: Mit Phil Meadley, einem führenden englischen Musikjournalisten und engen Freund, kehrt er an eine seiner früheren musikalischen Wirkstätten zurück: den Plattenteller. Das erlesene Genre des Mix-Albums — durch Serien wie DJ Kicks und Journeys By DJ in den Sparten Techno, House, Nu Jazz und Breakbeats etabliert — bereichern die beiden Briten als The Outernationalists um eine furiose Ethno-Facette.

Die tanzwillige World-Community bekommt was sie verdient: einen durchgängigen Mix mit zahlreichen Ecken und Kanten aus dem planetarischen Rund. Afro-Beat und Indo-Flair, Latino-Rhythmen und Balkan-Feuer, Funk, Ska, House, Psychedelia — der Titel ist Programm: The Outernationalists gehen mit ihrem internationalen Geschmack an die äußersten Grenzen des Experiments, setzen mit Ethnomixicology der trockenen Ethnomusikologie eine lustvolle Mischkultur entgegen.

Es ging wie eine gewaltige Erschütterung durch die Landschaft der Weltmusik. Als 1996 das Afro Celt Sound System auf den Plan trat, brauchten wir schon einige Zeit, um diese zuvor nie da gewesenn Fusion aus spielerisch-folkigen Fiddle-, Flöten- und Dudelsacktönen, afrikanischer Kora und Perkussion und housigen, technoiden Beat-Skulpturen zu verdauen. Für Simon Emmerson, das Mastermind hinter dem Projekt, waren die Afrokelten nur eine logische Entwicklung auf seinem Pfad, an dessen Wegesrand er mutig von allen Gewächsen klaubte. Schon zu Beginn der Neunziger hatte er Sackpfeifen aus Irland mit Westafrikas Traditionen probeweise verbandelt. Sein globales Ohr schulte er dann durchs Abmischen zahlreicher herausragender Weltmusik-CDs, wie Trance (1994), das Magnum Opus des Marokkaners Hassan Hakmoun, Baaba Maals Firin’ In Fouta (1994) oder das beste Oeuvre der madagassischen Band Tarika, Son Egal (1997). Die Anziehungskraft der schwarzen Kelten war ungeheuerlich, denn pionierhaft wurde hier eine Global Dance-Philosophie in tönende Wirklichkeit gegossen, wie sie zuvor vielleicht nur Transglobal Underground realisiert hatten. Nur arbeiteten Emmerson & Co. vorzugsweise mit "richtigen" Musikern, reduzierten die Samples zugunsten organischer Zutaten. Sowohl Sinéad O’Connor als auch Peter Gabriel und Robert Plant ließen es sich in den weiteren Jahren der Bandhistorie nicht nehmen, im Studio des ACSS aufzulaufen. Die Musik des Sound Systems tauchte in diversen Soundtracks auf, darunter in Martin Scorceses Streifen Gangs Of New York oder der Kultserie Sex And The City.

Den vorläufigen Höhepunkt bildet eine Remix-Scheibe namens Pod, auf der Emmerson selbst mit prominenten DJ-Kollegen wie Mass oder Bipolar an Klassikern des interkontinentalen Ensembles Hand angelegt hat. Pod signalisierte bereits eine Rückkehr des umtriebigen Glatzkopfs zu seinen Wurzeln als Discjockey — denn seit einiger Zeit war er auf der Suche nach innovativen Tendenzen in der Dance Music, die in sein Konzept eines neuen Global Mixing-Kapitels hineinpassen könnten. Dieses Ansinnen hat er nun mit Ethnomixicology realisiert — im Team mit Phil Meadley. Wer ist dieser Mann?

Aufmerksamen Beobachtern der englischen Weltmusik-Presse wird nicht ent-gangen sein, dass sein Name regelmäßig im führenden Magazin Songlines auftaucht. Meadley zählt zu den kompetentesten Schreibern der Insel, verdiente sich erste Meriten bei Underground-Gazetten, die sich mit der alternativen Dance-szene auseinander setzten. Im Wax Magazine betreute er alsbald eine Kolumne, die die Global Fusion propagierte, dann erfolgte der Sprung zu Songlines und der Tageszeitung The Independent. Für die Labels Ark 21 und Manteca zeichnete Meadley als Compiler verantwortlich, Zen & The Art of Chilling, Asian Chill und Indestructible Asian Beats hießen die Kollektionen unter seiner Regie. Mit Emmerson kam er erstmals im Rahmen des SanScape-Projekt zusammen, in dem traditionelles Material der Kalahari-Busch-männer für M.E.L.T. 2000 remixt wurde.

In der idyllischen Ländlichkeit der Grafschaft Dorset haben sich die beiden also zusammengesetzt, um einen Geniestreich auszubaldowern: Ein DJ-Set sollte es werden, über das Weltmusik-Freaks und Clubgänger gleichermaßen aus dem Häuschen geraten, das weg geht von den unzähligen Chill Out-Nebeln und handfeste, hartkantige Tanzbeats liefert. Ein Mix, der nicht von Programming zugekleistert ist, sondern vielen natürlichen Instrumenten Raum zur Entfaltung gibt. Und der nicht an der Hürde scheitert, über die es so viele DJ-Scheiben nicht schaffen: Auf der Piste funktionieren sie tadellos, im heimischen CD-Player jedoch werden sie zur schlappen Endlosschleife. Die Quadratur des Kreises? Nicht für Simon und Phil, die sich schließlich in die heiligen Hallen der afrokelti-schen Studios zu Islington aufmachten, um aus ihren Ideen ein Unikat zu fabrizieren. Einen global gefärbten, schweißtreibenden Spannungsbogen ohne Momente des Leerlauf, eine Weltreise, die stetig die Balance zwischen Maschine und Menschen hält.

Und das ist die Reiseroute:

Mit Afrobeat made in Italy startet der unkonventionelle Überflug: Claudio "Moz-Art" Rispoli aus Rimini steht hinter dem Projekt MYSTERIOUS TRAVELER und ist ein Veteran der House-Funk-Formation Jestofunk, die Anfang der 1990er einen internationalen Craze für mediterrane Dancefloor-Kreationen entfachte. "Green Africa" ist eine packende Verbeugung vor Fela und Konsorten.

Alsdann stürzen sich die Outernationalists nahtlos in eine Begegnung der indischen Art: Nelson Dilation, bekannt als Resident-DJ in Talvin Singhs Anokha-Club und Tour-Supporter von Transglobal Underground, kreiert mit seiner neuen Band KAMEL NITRATE einen "Big Bhang", in dem sich Breakbeats mit Vokalsequenzen vom Subkontinent und einem aufgeweckten Posaunisten ins Vergnügen stürzen. Eine Mixtur, die auch auf dem Glastonbury Festival 2003 die entzückten Massen mobilisierte.

HAWKE knüpft an die anglo-indische Fusion mit slappendem Bass und psychedelischer Progrock-Gitarre in "Now We Know" an, bevor wir in Brighton bei engen Freunden von Simon Emmerson Halt machen:

HEADMIX stehen für die außergewöhnlichsten Dub-Tendenzen des UK und führen ihren "Passenger" in einer veritablen Mini-Suite durch arabeske Streicher, Gypsy Fiddle und keltische Flöten, gestützt durch tribale Beats des afrikanischen Musikbogens Berimbau. Der Track ist hier in einem Remix von Max Pashm zu hören, jenem kuriosen DJ, der mit seinem Album Weddings, Bar-Mizvahs And Funerals jüdische, arabische und Latino-Sounds auf die gemeinsame Reise geschickt hat.

Weiter in Richtung Osteuropa stoßen wir mit HAREM vor, einer türkischen Perkussion- Combo, die hier in gestylter House-Architektur mit "Orient Carnival" einer anatolisch- brasilianischen Party frönt — laut Emmersons eigener DJ-Erfahrung einer der absoluten Dancefloor-Killer. Kaum merklich hat er hinter den Kulissen Sequenzen aus SNOOZES "It’s More Expensive For This" (s.u.) in den Harem hineingeschleust.

Ohne Atempause geht’s mit "Green Gold" in einen weiteren monströsen Afrobeat. SPIRITUAL SOUTH, das Brainchild von Mark Robertson ist der Urheber des Tracks, den Gilles Peterson 2003 zu seiner Platte des Jahres gemacht hat. Robertson residiert in London mit seiner eklektischen Mischung aus Latin House, Future Funk und New Jazz an gleich drei Stammplätzen und hat sich als Remixer für die United Future Organization ins Zeug gelegt.

Nur ein Wimpernschlag bleibt zum Verschnaufen, dann finden wir uns in einem völlig neuen Klangraum: Seit sie beim Folkfestival in Dranouter das Afro Celt Sound System live sahen, sind die Belgier von URBAN TRAD Feuer und Flamme für diese Art der Klangkoppelung — unschwer lässt sich das in ihrem Stück "Berim Dance" heraushorchen, das zudem noch von den Afrokelten persönlich einem peppigen Generalcheck unterzogen wurde.

Von atlantischen Gestaden katapultieren uns Emmerson und Meadley zurück in den Balkan: Der BUCOVINA CLUB sorgt unter der Schirmherrschaft des DJs und Produzenten Stefan Hantel alias Shantel (nicht nur) im Raum Frankfurt für kultigen Gypsy-Schwof. Kürzlich veröffentlichte Shantel das Album Electric Gypsyland, auf dem er lustvoll im balkanischen Baukasten wildert, um clubkompatible Titel zusammenzuschrauben. In unserem Falle hat er sich die rumänische Zigeunerkapelle TARAF DE HAIDOUKS ausgesucht, und ihr "Carolina" mit trabenden Beats unterlegt.

Das Gypsy Dancehall-Intermezzo leitet den dubbigen Electronik-Ska "Big & Bouncy" von CAKEBOY ein, wiederum eine Größe der vibrierenden Dance-Szene Brightons.

Und schließlich taucht erneut der kantige House von SNOOZE aus der Versenkung auf, mit dessen "It’s More Expensive For This" Emmerson/Meadley schon Harems Track gestreckt hatten.

Dann ist es Zeit, mit "Hambanam" nach Afrika überzusetzen: Die Stimme von DOREEN THOBEKILE ist Global Dance-Anhängern durch ihre neue Protagonisten-Rolle bei Transglobal Underground keine Unbekannte mehr. Sängerin, Tänzerin und Mbira-Spielerin Doreen stammt aus dem südafrikanischen Natal, wuchs in Durban auf, lebt aber seit 1971 im UK, frontete die Zulu-Pop-Frauen von Shikisha und war Sängerin beim kongolesischen Gitarrenmeister Mose Fan Fan.

Nochmals regiert nach äußerst dubbigem Intro der Ska: UNITED EYE ist ein Projekt des Londoner DJs Paul Murphy, der derzeit das Label Afro Art Music führt (hier veröffentlicht auch Mark Robertson von Spiritual South, s.o.) und schon in den Achtzigern an der Themse eifrig im aufkeimenden Acid Jazz mitmixte. Sein Old School-Klassiker "Ska East Of The West" schlug seinerzeit auch in New York bei transatlantischen Kollegen wie Joe Claussel heftig ein.

Seit einiger Zeit haben die britisch-pakistanischen Agitpropper FUN-DA-MENTAL eine Schwäche für südafrikanische Sounds, was in der derzeitigen Kooperation mit der Mighty Zulu Nation gipfelt. Mit dem Johannesburger Chorleiter ZAMO MBUTO fanden sie sich zu "Fire Water" zusammen — wie Feuer und Wasser klingt denn auch dieser scharfkantige technoide Remix der MOODY BOYZ, den Acid-Veteranen, die mithalfen, der Jungle-Bewegung den Weg zu ebnen.

Natürlich lässt es sich Simon Emmerson nicht nehmen, seinen Ausflug über den Planeten mit Klängen der Marke Eigenbau in den heimischen Fuhrpark zurückzubringen. Nach einem Hakentrick ertönt mit "Deep Channel" der unverkennbare Dudelsack von Emer Mayock, die auf so vielen Tracks der AFRO CELTS für Pfeifenfieber gesorgt hat. Mit dem galoppierenden keltisch-tribalen Finale endet das erlebnisreiche Klangabenteuer.

 

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