Le Festival Au Désert

EXIL 3098-2 | LC 08972| VÖ: 27.10.2003 | DISTRIBUTION: INDIGO

"Ein magischer Moment in der Geschichte der Weltmusik." (Banning Eyre, fROOTS)

"Die beste Live-Platte , die ich je gehört habe." (Charlie Gillett, BBC)

"Ein Festival, das für Leute organisiert wurde, die das Wort ‚Festival’ bisher nicht einmal kannten." (Ali Farka Touré)


"Wir haben hier eine großartige Zeit, und das, obwohl unser eigener Auftritt erst noch kommt!
Unglaublich, dass all diese Leute so hart gearbeitet haben und von so weit her gekommen sind."
(Robert Plant)

"Was die Wüste schön macht, ist, dass sie irgendwo einen Brunnen verbirgt" - unweigerlich fühlt man sich an jene berühmten Worte von Antoine de Saint-Exupéry erinnert, wenn man sie vor sich sieht, die Bilder aus Essakane, nordöstlich der legendären malischen Stadt Timbuktu. Scharen von hochgewachsenen Kamelreitern in feinem blauen Tuch, Frauen, angetan mit reich verziertem Leder- und Silberschmuck, formen einen weiten Halbkreis. Hie und da erhebt sich ein hellgrüner Akazienbaum zwischen den Dünen, aus den Zelten dringen spontane Sessions mit Gesang und Tanz, wird Lyrik in der Sprache Tamashek gelesen. 2000 Afrikaner, viele von ihnen Tuareg-Nomaden, andere aus dem Volk der Peul, der Songhai, oder der Bambara aus dem Süden, sowie 350 Europäer und Amerikaner plaudern in einem Dutzend Zungen durcheinander. Als Malis Kulturminister, der berühmte Filmemacher Cheikh Oumar Sissoko die Bühne erklimmt und Oumou Sangaré die Landeshymne anstimmt, ist das wohl magischste Musikfestival seit Woodstock eröffnet. Für drei Tage und Nächte wird Essakane zum reichen und unerschöpflichen Brunnen, aus dem die Klänge Malis, Nigers, Mauretaniens und die von Gästen aus anderen Kulturen emporsteigen. Bis weit in die Nacht leuchten zwischen den Zelten Fackeln im Sand und die Sternbilder des klaren Wüstenhimmels funkeln mit den Stars wie Ali Farka Touré und Afel Bocoum um die Wette.

Lange Jahre war der natürliche Rhythmus des Nomadenlebens in der Südsahara aus den Fugen geraten. Dürren in den Siebzigern und Achtzigern hatten die Viehherden der Kel Tamashek, wie sich die Tuareg selbst nennen, dezimiert und ihnen damit die Lebensgrundlage genommen. Hilfe aus dem Ausland wurde von korrupten Politikern kassiert und drang nie zu ihnen vor. Die Wut auf diese Vernachlässigung führte schließlich zu einem fünfjährigen Bürgerkrieg der Tuareg-Rebellen gegen den Süden, bis die malische Regierung 1996 mit einem Friedensvertrag den Aufbau einer neuen Infrastruktur für die "blauen Menschen" garantierte. Nun suchten die Tuareg nach neuen Formen, die Temakannit, ihre traditionellen Nomaden-Zusammenkünfte wieder aufleben zu lassen. Die EFÈS und die Aïtma, Nichtregierungsorgani-sationen der Tuareg, die sich die Entwicklung des Nordens auf die Fahnen geschrieben haben, entwickelten den Plan, die Treffen nicht nur wie bisher für Gruppen aus einem Radius von 500 km zu öffnen, sondern ein kulturelles Spektakel für ganz Mali daraus zu machen, ja, ein Event für die ganze Welt. Europäische Partner für das ehrgeizige Vorhaben fanden sie in der Musikerkommune Lo’Jo und ihrem Manager Philippe Brix aus Angers im Loire-Tal, die seit langem ein offenes Ohr für afrikanische Kultur haben. Auf ihren Globetrotter-Touren konnten die Franzosen Freundschaft mit vielen mali-schen Künstlern schließen und produzierten 1999 gar ihr Album "Bohêmede Cristal" mit afrikanischer Beteiligung vor Ort in Bamako. Im Januar 2001 stellte das malisch-französische Team das erste "Festival Au Désert" nahe Kidal, der äußersten Nordost-Ecke Malis auf die Beine, gefolgt von einem kleineren Treffen an der algerischen Grenze 2002, denn die Vorbereitungen waren durch den 11. September beeinträchtigt worden.

In diesem Jahr schließlich gelang es den - fast ausschließlich ehrenamtlich agierenden - Organisatoren, zu denen nun auch die Macher von Europas größtem Afrika-Festival aus Würzburg und der britische Publizist Andy Morgan gestoßen waren, ein wunderbares, romantisches Fest buchstäblich ins geographische Nichts zu zaubern. Essakane, rund einhundert Kilometer nordöstlich von Timbuktu, wurde zum neuen Standort. Und hier einte sich eine ehemals zerstrittene Nation: Bambara- und Mandinke-Musiker aus dem Süden, für die die Wüste bislang mit Schrecken behafteter Sperrbezirk gewesen war, bewegten sich ohne Furcht unter den stolzen Vertretern der Tuareg-Stämme. Afro-Blueslegende Ali Farka Touré, einer der Headliner, konnte seine Freude über das gelungene Meeting nicht verbergen und strahlte ohne Unterlass. Auf der Bühne, ausgestattet mit modernster Soundtechnik und Licht-Show, die auf Allrad-Cruisern vor Ort geschafft worden war, lösten sich innerhalb der drei Tage sage und schreibe 37 Gruppen ab. Viele Facetten des ungeschliffenen Gitarren-Rock der Tuareg konnten die Gäste bestaunen, allen voran von den Pionieren des Genres, der Band Tinariwen, aber auch ganz traditionelle Seiten der Wüsten-Klangkultur waren zu vernehmen, wie die der majestätischen Frauen von Tartit. Die benachbarten Songhai aus der Region von Timbuktu präsentierten sich mit den Stars Ali Farka Touré und seinem musikalischen Zögling Afel Bocoum. Aus Malis Kapitale Bamako waren der Blueser Lobi Traoré angereist oder etwa die innovative Popband von Adama Yalomba. Wassoulou-Queen Oumou Sangaré gab sich mit einem funky Set die Ehre, ihr Gitarrist Baba Salah stellte seine eigene Band vor. Mauretanien schickte eine Vertretung in Gestalt der Harfenspielerin Aïcha Bint Chighaly. Doch die Signale reichten über die Sahara hinaus: Lo’Jo ließen es sich als Initiatoren nicht nehmen, selbst einen musikalischen Beitrag in den Ring zu werfen und mit Robert Plant schaute gar eine britische Rock-Legende vorbei. Faszinierend aber war — und dies entsprach dem Geist des Festivals am schönsten — wie die Tuareg über Tausende von Kilometern hinweg eine Verwandtschaft mit anderen Wüstensiedlern entdeckten, den Navajo-Natives von Blackfire, mit denen sie über die Festivaltage Tänze und Geschichten austauschten.

Die Begleit-CD versammelt die spannendsten Momente der über 30 Konzertstunden. Gerade die Künstler, die auch in Europa einen herausragenden Status in der Weltmusik errungen haben, präsentieren sich hier so frisch, lebendig und bezwingend, wie man sie auf ihren Studioalben noch nie gehört hat. Und daneben wartet das Tracklisting mit jeder Menge Neuentdeckungen auf, die schließlich ein farbenprächtiges Mosaik saharischer Musikkulturformen. Beim Hören ist die Magie unterm Sternenhimmel von Essakane förmlich zu greifen.

Track by Track:

Er basiert auf dem gemächlichen Rhythmus des Kamelrittes, der Takamba, der zum Namensgeber für die Formation Takamba Super Onze wurde. Mit "Super 11" geleiten die elf Musiker aus dem nordmalischen Gao in die faszinierende Stimmung der Tuareg-Musik mit ihren erdigen Trommeln und nasalen Stimmen, hier vom ruppigen Zirkeln der Laute Tehardent bereichert.

"Unter uns sind die Tuareg, die Songhai, die Peul. Hier kommen Leute zu-sammen, die sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen haben. Fantastisch. Romantisch", so der begeisterte Kommentar von Afel Bocoum zu den Festivaltagen. Als Protégé von Ali Farka Touré wurde er uns vor einigen Jahren im Westen vorgestellt, mittlerweile hat er sich einen hochrangigen Platz unter Malis Gitarristen erobert. Wie Ali Farka stammt Afel aus der Songhai-Minderheit des am Niger gelegenen Wüstenortes Niafunké, wo er schon in den Siebzigern mit seiner hohen nasalen Stimme einen Gesangswettbewerb gewann. Seiner Musik wohnt ein trancehaftes Element inne, sie betört durch die kreisenden Wiederholungen der Antwort-Chöre und der einsaitigen Violine Njarka. Im Song "Buribalal", einem elektrisierenden Uptempo-Stück, das auch auf Bocoums Debüt "Alkibar" zu finden ist, geht es um Bewahrung und Pflege der Umwelt: "Zerstörer des Waldes, der du nie einen Baum gepflanzt hast, du seiest verbannt! Du aber, der du immer gewusst hast, wie großzügig die Bäume sind, an dich werde ich mich erinnern und dir danken."

Die Targias (Bezeichnung für die Tuareg-Frauen) von Tartit ("vereint") haben ihren stolzen Charme schon auf internationalen Bühnen versprüht. Wer einmal Fadimata Walett Oumar, genannt "Disko", und ihre Mitstreiter-innen in einem Konzert erleben konnte, wird bestätigen, dass hier die Schönheit und Erhabenheit der Tuareg regelrecht zelebriert wird: Das Spreizen und Ineinanderschmiegen der Hände beim Klatschen, die wogenden Schritte beim Tanz, der helle fünftönige Gesang und die zisch- und schnarchartigen Begleittöne über der Tindé-Trommel. Die Gruppe formierte sich während des Bürgerkrieges im mauretanischen Exil, wohin die Mitglieder vor der malischen Armee geflüchtet waren. "Tihar Bayatin" steht für eine triumphale Rückkehr der Tuareg-Kultur ins angestammte Land.

Robert Plants Flirt mit Afrika hat nicht erst gestern begonnen. In den Siebzigern entbrannte er wie viele Rockstars der Hippie-Generation für Marokko, und "No Quarter" seine arabische Umsetzung von Led Zeppelin-Material mit long time companion Jimmy Page ist uns noch bestens im Ge-dächtnis. So tief in die Wüste hat es der britische Altmeister jedoch definitiv noch nie geschafft. Auf der Bühne von Essakane vereinigte er sich mit dem Gitarristen Justin Adams und Bandmitgliedern von Lo’Jo zu seinem schwergewichtigen, ultimativen Wüstenblues "Win My Train Fare Home".

Sedoum Ehl Aïda kann die Einführung der elektrischen Gitarre in Mauretanien zugeschrieben werden. Ganze zwanzig Tage vor Beginn drang die Kunde vom Festival in der Wüste an seine Ohren, und ohne zu zögern macht er sich mitsamt Band auf die lange Reise von der Atlantikküste bei Nouakchott ins Innere der Sahara. Wie man hört, hat es sich gelohnt: "Ya Moulana" begeistert über galoppierenden Rhythmen mit schneidenden Chorstimmen und einer fast gespenstischen Saitenkunst, in der die traditionellen Harfenlinien der mauretanischen Kultur geheimnisvoll auf die E-Gitarre übertragen wurden.

1998 erregte die bunte Musiker-Kommune aus dem romantischen Loire-Tal mit "Mojo Radio" erstmals international aufsehen, einem Album, das von Kora-Gezirpe und Berbergesängen über Musette-Flair bis zum Dub einen kräftigen Schuss Anarchie in die Weltmusik einbrachte. Ihre Affinität zu afrikanischen Kulturen untermauerten Lo’Jo dann, als sie 1999 Bamako, der Partnerstadt ihres Heimatortes Angers einen Besuch abstatteten und unter der Ägide von Justin Adams, dem obigen Stagepartner von Plant, das Album "Bohême de Cristal" mit malischen Musikern aufnahmen. Mit ihrer Organisation Triban-Union fördern sie die Vernetzung der nomadischen Idee und waren von Anfang an maßgeblich an der Organisation des Wüstenfestivals involviert. Auf der Bühne trafen sie sich mit dem Kora-Spieler und Sänger Django, einer ihrer Bamako-Bekanntschaften, um die ruhig einherschreitende Ballade "Jah Kas Cool Boy" zu performen, ganz getragen von den charismatischen Stimmen der Schwestern Namia und Yamina Nid El Mourid.

Einer der unbestrittenen Stars von Essakane war ohne Zweifel Oumou Sangaré, die Königin des malischen Liedes. Jahrelang hat sie sich vom europäischen Markt zurückgezogen, nur für ihre Leute in Mali gewirkt, bevor nun im Herbst 2003 ihr Doppel-Album mit neuem Material in Europa erscheint. Sangaré hat eine Lanze für die Emanzipation der Frauen in der westafrikanischen Gesellschaft gebrochen, hat einen funkigen Draht zur Jugend gefunden, in dem sie ihr Instrument, die modernisierte Buschharfe Kamalengoni zum zentralen Zündfunken ihrer Arrangements gemacht hat. Die Harfe paart sich im umwerfenden mächtigen Wassoulou-Groove von "Wayena" mit der tradtionellen Geige der Tuareg, der Imzad — und spiegelt somit nicht zuletzt die neugewonnene Verbrüderung des malischen Nordens mit dem Süden wider.

Der nächste Publikumsliebling und vielleicht der Gigant der Musik Malis schlechthin, schließt sich nahtlos an. Über ein Jahrzehnt hatte er in Europa getourt, zahlreiche legendäre Alben veröffentlicht. Er hat der Weltöffentlichkeit die wahren Ursprünge des Blues nahe gebracht. "In erster Linie bin ich Farmer und dann erst Musiker", wurde jedoch seine Maxime in den letzten Jahren, als er eine Entfremdung von seinem Volk zu spüren begann. Deshalb bestand er darauf, das letzte Album in seinem Heimatort am Rande der Wüste, zwischen den landwirtschaftlichen Arbeiten einzuspielen und nicht in einem europäischen Studio. In Essakane wurde für Ali Farka Touré schließlich ein Traum wahr: Nun muss er nicht mehr nach Paris oder London fliegen, um sich einem internationalen Publikum zu präsentieren, die Welt trifft sich ganze 100 km von seiner Heimat entfernt. "Karaw" ist ein Paradebeispiel für seinen berühmten "African Blues", und die ungebändigte Rauheit seiner Gitarre betört in elektrifizierter Form noch wirksamer.

Im gesamten Land der Nomaden, überall zwischen Timbuktu und Tamanrasset gelten Tinariwen (eigtl. "Taghreft Tinariwen" = "der Aufbau von Ländern") als die Pioniere des Tuareg-Rock. Die achtköpfige Truppe war ohne Zweifel der Festival-Höhepunkt für die versammelten Wüstenritter. Sie waren die ersten, die sich Anfang der Achtziger entschlossen, Lauten, Fiedeln und Trommeln gegen E-Gitarren und Drumkit auszutauschen, beeinflusst durch amerikanische Musik und den nordmalischen Gitarrenstil von Ali Farka Touré, aber dennoch festhaltend an den traditionellen Melodien. Ein idealer, schlag-kräftiger Sound, um die rebellischen Belange der Tuareg während der bitteren Kriegsjahre zu transportieren. "Unsere Musik war das Untergrund-telefon des Aufstandes", erinnert sich Leader Ibrahim Ag Alhabibe in einem Gespräch mit Jamie Renton. "Und wenn du mit einer unserer Kassetten erwischt wurdest, hast du dein Leben riskiert. Sowohl in Mali als auch Algerien waren wir verboten." Die Zeiten, in denen Tinariwen über der einen Schulter ein Gewehr, über der anderen eine Gitarre trugen, sind vorbei. Heute haben sie den Inhalt ihrer Lieder auf Wiederaufbau und Zukunft abgestimmt, sind die musikalischen Helden auf Hochzeiten und Taufen, haben durch die Vermittlung von Lo’Jo auch schon in Europa gespielt. "Aldachan Manin" aus der Feder des Bandchefs Alhabibe kündet von der zusammenschweißenden Energie, die Tinariwens Musik seit 20 Jahren ausstrahlt.

Adama Traoré ist ein Youngster der rührigen Szene Bamakos. Ursprünglich stammt er aus einem kleinen Ort bei Ségou im Süden Malis, wo ihn sein Vater in Spiel der traditionellen Instrumente einwies, unter anderem dem N’goni, einem Urvater des Banjos. Als Adama Yalomba hat er eine frische Perspektive in die Musik der Bambara eingebracht, verfügt über eine äußerst dynamische Bühnenpräsenz, beherrscht ein ganzes Arsenal an Saiten—instrumenten und komponiert seine Lieder selbst, wie das kantige "Politique". Deutsche Konzertbesucher kennen ihn vielleicht vom diesjährigen Auftritt beim Africa Festival Würzburg.

Ebenfalls zu Gast in Würzburg, beim Tuareg-Camp am Main, waren 2003 Tidawt, Tuareg-Abgesandte aus der 1000km entfernten nigrischen Stadt Agadez. Mit ihrer Musik stehen sie — wie in "Ariyalan" zu hören — zwischen traditioneller und moderner Musik, bewahren ihr Erbe durch bildreiche Texte über Liebe, Moral, Mut und den Appell an den Zusammenhalt der Tuareg.

Zu einem außergewöhnlichen euro-afrikanischen Aufeinandertreffen kommt es in "Chameaux". Ludovico Einaudi ist ein Mailänder Allround-Künstler, der nach klassischem Studium, unter anderem bei Luciano Berio, zunächst symphonische und kammermusikalische Werke schrieb, die in vielen renommierten Konzerthallen wie Tanglewood oder der Scala aufgeführt wurden. Mitte der Achtziger wandte er sich freieren Ausdrucksformen zu, komponierte für Film und Tanz und performte auf dem Piano. Ein Ausflug nach Afrika brachte ihn mit dem Kora-Spieler Ballaké Sissoko zusammen, der zu den herausragenden Hafenvirtuosen Malis gehört. Sissoko hat im Laufe seiner Karriere zahlreiche Griottes begleitet, unter ihnen die legendären Kandia Kouyaté und Ami Koita, mit seinem Cousin Toumani Diabaté hat er 1999 die traditionelle Koramusik auf "New Ancient Strings" neu belebt.

Die Essenz traditioneller Tuareg-Musik ist in "Ihama" zu hören. Das fünfzehnköpfige Ensemble Kel Tin Lokiene aus der Nachbarschaft von Timbuktu führt mit einfachsten und effektvollen Mitteln, Trommeln, kehlig-rhythmischen Rufen und gutturalem Frauengesang die ganze Magie der Ritter der Wüste vor Ohren.

Ein Mitglied der Tinariwen-Familie begegnet einem HipHopper! Die schnörkellose, pure Gitarre von Foy-Foy bietet ein ungewöhnliches Fundament für die rasanten Rap-Attacken des Vincent Loiseau, genannt Kwal. Der Sprechsänger war ursprünglich in der Metal-Szene Frankreichs beheimatet und hat in den letzten Jahren innovative HipHop-Konzepte entwickelt, in die er neben Elektro-Rap-Elementen auch Tanz, Theater und traditionelle indische Musik integriert. Französische Gymnasiallehrer diskutierten gar darüber, die Texte seines Debüts "Règlement De Contes" in die offizielle Liste der Abitur-Themen aufzunehmen.

"Wana" bietet wiederum einen Höreindruck von den informellen Tuareg-Sessions, die immer wieder spontan neben der Hauptbühne stattfanden. Aus Tessalit an der algerischen Grenze, von dort, wo die 2002-Ausgabe des Festival Au Désert stattgefunden hatte, haben Tindé ihre Musik mit dem nasal kreisenden Tenor des Sängers Kally und den trancehaften Hintergrund-stimmen nach Essakane gebracht.

Da wo die gelbe und blaue Wüste aufeinandertreffen, an der Atlantikküste von Nouakchott, ist die Musik von Aïcha Bint Chighaly zuhause. Die Mauretanierin spielt die Tidinit, eine viersaitige traditionelle Harfe, die als Begleitung zu ihrem durchdringenden, scharfkantigen Gesang ("Koultouleili-Khalett Là") dient. Ihre Lieder sind Preisgesänge auf Allah und die alten Krieger, Satirisches und Liebeslieder gehören jedoch auch zum Repertoire der Diva Chighaly.

Ein letzte Impression aus dem reichen Klangschatz der Tuareg: Ein Heimspiel war das Festival Au Désert für Igbayen, die aus der Region Essakane stammen und hier mit melismatischem, messerscharfem Sologesang von Haskana Ag Alhassane begeistern. Die Lieder der rund ein Dutzend umfassenden Truppe kreisen um die herkömmlichen Werte der Tuareg: Tapferkeit, Ehre und Würde ("Oubilalian").

Baba Salah stammt aus Gao im Norden Malis, hat aber trotzdem mit seiner E-Gitarre den Weg in die Band von Oumou Sangaré aus dem Süden gefunden. Nachdem er das Set von Oumou mit seinen Saitenkünsten bereichert hatte, stieg er mit eigener Band nochmals auf die Bretter. Auf "Fady Yeïna" scheint in seinen brillanten Licks unverblümt der Rock’n’Roll hindurch.

Die größte geographische Entfernung nach Essakane hatte die Benally-Familie aus Black Mesa zurückgelegt. Umso erstaunlicher, dass gerade sie unverhoffte Parallelen zwischen der Südsahara und Arizona enthüllen konnten. Während der Festivaltage ritten sie mit den lokal ansässigen Tuareg auf Kamelen in die Wüste hinaus und tauschten mit ihren Wüsten-Brüdern Tänze und Rhythmen aus, sprachen über ihre Erfahrungen kultureller Unterdrückung und Assimilation. Und als sie in voller Montur, mit Federschmuck und Fellen auf die Bühne kamen, wurden sie frenetisch von den Tuareg im Publikum gefeiert Die drei Kinder des Benally-Klans formen die Band Blackfire, die Tradition mit Ska, Punk und Alternative Rock koppeln, mit ihren Botschaften an die eigene Jugend aber auch an die Regierung, den Verfall der Native-Kultur zu stoppen versuchen. Ihr Album "One Nation Under" gewann 2002 den Native American Music Award, von dieser Scheibe stammt auch "What Do You See": "Du musst an dem festhalten, was du verlieren könntest / lernen, was noch nicht vergessen ist / wenn du weißt, woher du kommst / dann ist es einfacher, herauszufinden, wohin du gehen sollst / manchmal müssen wir etwas mehr leben als träumen / lass uns diese Welt als einen Ort der Einheit verlassen."

Am Ende der Karawane reitet nochmals ein enger Freund der Lo’Jo’s. 1998 schon hatten die Franzosen den Singer-Songwriter Django aus Bamako kennen gelernt, er spielt eine wichtige Rolle beim befruchtenden Austausch europäischer und westafrikanischer Kultur in der Bandhistorie. Mit seiner ruhigen Ausklang-Ballade "Laisse-Moi Dire" nehmen wir Abschied von Essakane.

Die Geschichte des Festival Au Désert wird fortgeschrieben werden, der Termin für 2004 ist am gleichen Ort schon in Vorbereitung. Zu hoffen bleibt, dass die Romantik des dritten Jahres erhalten bleibt, Essakane nicht von Europäern überrannt wird. Nur dann wird die Balance zwischen Erhalt der Tuareg-Kultur und der Förderung und Entwicklung der Künstler aus den Reihen der Wüstennomaden gewahrt bleiben können, wie es Abdullah Ag Alhousseini von Tinariwen im Interview mit dem britischen Journalist Banning Eyre formuliert hat.

"Magie kommt von Menschen und von der Natur. Das Festival Au Désert war ein kleiner Schritt zum Wesentlichen, ein Hauch von Freiheit, ein Atemzug voll frischer Luft, wie ein Lied, das Unbeholfenheit und Taktlosigkeit in etwas Schönes und Menschliches verwandelt. Wenn unsere Bestimmung eine Welt ohne Grenzen ist, dann sind die Nomaden der Erde Hüter eines kleinen, aber wesentlichen Schatzes. Vielleicht ist das eine romantische Vision, eine Vision von einer anderen Art Brüderlichkeit, mit drei Litern Wasser pro Tag, 40 Grad Celsius am Tage, null Grad in der Nacht, ein paar Skorpionen, Wunden und Kratzern auf der Haut, eine Brüderlichkeit ohne Furcht noch Boshaftigkeit, mit elektrischen Gitarren und Generatoren. Die Tage in Essakane waren ein Hoffnungsstrahl. " (Geleitwort von Triban Union)

 

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