Putumayo Presents:

Euro Lounge


EXIL 2351-2 LC 08972 VÖ: 17.03.2003 DISTRIBUTION: INDIGO

Musik aus dem "alten Europa", zusammengetragen von Amerikanern? Die Sampler-Strategen von Putumayo landeten bereits im Frühling 2002 mit World Lounge einen veritablen Volltreffer zwischen Club- und Weltmusik. Im Zuge ihrer Recherchen erkannten Dan Storper und sein Team, dass die angesagteste Musik zum gepflegten Chillen und Abhängen schon seit Jahren meist aus Europa kommt. Wo Begriffe wie Trip Hop, Downtempo, Lounge und Chill-Out einander in kurzer Folge ablösen und miteinander konkurrieren, dort tut sich offensichtlich viel in Sachen Entspan-nungsmusik für Bar und Sofa. Und der Soundtrack zum ‚Lounging‘ besteht meist aus unverkennbaren und vielseitig kombinierbaren Zutaten: dem Easy Listening-Flair der Sechziger, sanftem tropischem Bossa-Hüftschwung, aus chansonesken Tönen und asiatisch-meditativen Ornamenten, allesamt in trendige Elektronik gekleidet. Ein clever kombiniertes Mosaik, das Partypeople und Afterworker von Fernost bis Kalifornien fasziniert. Folgen wir also mal der ‚etwas anderen‘ Hörperspektive der "Neuen Welt" und lauschen, welche Tracks aus dem reichen Euro-Fundus an Chillout und Lounge-Klängen unsere amerikanischen Freunde sich herausgepickt haben.

Um den Einstieg ins Reich europäischer Lässigkeit zu erleichtern, geleiten zwei Jungs aus Washington nach Frankreich. Rob Garza und Eric Hilton aka Thievery Corporation stehlen seit 1995 mit wahrlich diebischer Freude Samples aus Rock, Latin, Dub, Bossa Nova und asiatischer Musik, und fertigen diese dann mit dezentem Programming zu durchdachten, angenehm tanzbaren Nummern. Denn so Garza: "Elekronische Musik ist oft sehr kalt und mechanisch, das finden wir überhaupt nicht attraktiv. Unsere Einflüsse rühren her aus organischen Produktionen." Um die Kanten noch etwas mehr abzurunden, gesellen sich auf "Une Simple Histoire" (1) zu Sitar-Linien die schmeichelnden Vokalisen der persisch-französischen Sängerin LouLou Ghelichkani ins chillige Arrangement.

Die Sitar hat’s auch dem Architekten Stefano Tirone angetan. Tagsüber designt er das Innere von Wohnungen, des abends entwirft er als DJ und Produzent einen Soundtrack aus Bossa, Jazz und klassischem Soul, gekoppelt mit Live-Instrumentation. Der Pionier des italienischen Acid Jazz-Zirkels zählt mit vier prächtig verkauften Alben unter dem Namen S-Tone Inc. zur Crème de la Crème der Dance-Szene aus dem Stiefelland. Über Sitar und der unverwechselbaren Rhythmus-Koloration durch Bhangra-Beats haucht Laura Fedele in "Limbe" (2) psychedelisch besprenkelte Poesie.

Was mit dem Bass-Riff aus "Hang On, Sloopy" zu beginnen scheint, entpuppt sich schließlich als ein kurioses latino-teutonisches Electronica-Experiment, das wir der Langeweile des deutschen DJs Uwe Schmidt (aka Atom Heart) zu verdanken haben. Abgetörnt vom inländischen Musikbetrieb begab er sich nach Südamerika und machte bald darauf als Señor Coconut das internationale Tanzparkett mit auf Mambo getrimmten Kraftwerk-Klassikern unsicher. Nun hat Herr Kokosnuss seine ersten Adepten gefunden: Mambotur beziehen sich mit ihren elektronischen Kreationen unverkennbar auf die Errungenschaften des crazy Aleman, der ihr Album auch produziert hat. Die beiden Bandköpfe, der Venezolaner Argenis Brito und der Chilene Pier Bucci, haben sich mittlerweile in Deutschland eingenistet, wo sie mit Schmidt ihre Latinotronics perfektionieren. Eine Arbeitsprobe ist "Salpica" (3), das die Hintergrundmusik für ein Tanzstündchen von Robotern abgeben könnte.

Die Bossa als einer der Hauptquellen entspannten Loungings hat seit den Sechzigern den weltweiten Siegeszug angetreten. In Italien fand sie eine ihrer Hauptabnehmer. Auch Bossa Nostra aus der zentralitalienischen Region Emiliana Romagna zelebrieren nebst Funk und Retro-Pop die brasilianische Eleganz, vokal unterstützt durch eine Landsfrau des tropischen Taktes, Bruna Loppez. "Jackie" (4), die Ballade von einer alternden Cabaret-Sängerin, stammt von ihrem bislang rundesten Album Kharmalion, wurde von Bandleader und Bassisten Stefano Carrara geschrieben und zeigt, was für eine gut aufeinander eingespielte Truppe sich hier aus den führenden italienischen Sessionmusikern zusammengeschmiedet hat.

Ebenfalls eine brasilianische Brise weht durch "Sempre Di Domenica" (5), ein weiteres Exemplar aus der Lounge-Werkstatt vom Stiefel. Daniele Silvestri zählt zu den gefragtesten Köpfen des Kreativ-Pops Italiens. Zunächst orientierte er sich an den Beatles, Marley und Police, ließ sich in jüngerer Zeit aber von den Erfolgen eines Buena Vista Social Clubs oder Manu Chao anstecken. Seine nonchalante, leicht laszive Stimmgebung geht hier wunderbar Hand in Hand mit den Easy Listening-Frauen, dezentem Drum&Bass-Fundament und flubbernden Keyboards. Und dazu folgende neckische Zeilen: "Du bist eine Egoistin, du bist die Erste auf meiner Liste von Feinden, du bist eine Rumtreiberin, eine Pessimistin, wenn du weiterredest, hole ich einen Exorzisten, doch ich habe gemerkt, dass es mir nur gut geht, wenn du da bist!"

Ein Ergebnis kosmopolitischen Lebenswandels ist die Musik von Ilhan Ersahin, der mit schwedischen und türkischen Elternteilen aufwarten kann. Nach Kindheit und Jugend kam er nach Boston, wo er am Berklee College Jazz unter anderem bei Joe Lovano studierte, heute lebt er in NY. Mühelos konnte er den erworbenen Hochschul-Kenntnissen die orientalischen Skalen seines türkischen Backgrounds zugesellen. Seit Neuestem vermählt er Jazz mit TripHop und Chill-Out-Atmosphäre, wie in dem äußerst gelungenen "Girl" (6). Zur schwülen Stimme der Vokalistin Nil Karaibrahimgil pluckern die Begleitgirlanden des arabischen Hackbretts Qanun und im Hintergrund schwelgt ein opulentes Streichorchester im Stile von Oum Kalthoum.

Wiederum steht das bossa-infizierte Italien auf dem Reiseplan: Filipp Clary, illustrer DJ aus Rom und Max Bottini, als Jazzbassist schon Bühnenkumpan von John Scofield und Dee Dee Bridgewater, zeichnen verantwortlich für das Projekt Gabin. "Sweet Sadness" (7) präsentiert eine ausgebuffte Rhythmussektion, die sich aus Electronica und den Batucada-Trommeln Brasiliens addiert. Darüber gibt es eine sinnliche Streicherkulisse, Vokal-Samples und eine nokturne Pianomelodie. Eine klare Reminiszenz an tropisch inszenierte Filmklassiker der Sechziger.

Ist Lounge Music auf der Basis der vokalen Darbietung einer siebzigjährigen Dame möglich? Na klar, wie hier macedonische Studiotüftelei vor Ohren führt. "Stojne Bre Mome Kocansko" (8), ursprünglich ein Volkslied, wird hier schlüssig als Sample der großen Folk-Diva Vanja Lazarova in eine vollkommen neue Klangarchitektur gebettet. Der melancholisch-anrührende Gesang der Lazarova, die über ein halbes Jahrhundert lang in den staatlichen Chören wirkte, vermählt sich mit den acidjazzigen Sounds des Folkrockers Kiril. Einst Leader von Leb i Sol, der wichtigsten Band des Landes, hat er unlängst seine Liebe für Electronica entdeckt.

Ein Museum als Ausgangspunkt für neue loungige Klangwelten: im Picasso Museum von Paris nämlich begab es sich, dass der Produzent und Musiker François Inca auf den gleichgesinnten Dinant Lance traf. Nach einer fruchtbaren Diskussion über ihre gemeinsamen Interessen, die sich vom Pop und Rock der Sechziger bis zu Miles und Gainsbourg erstreckten, zogen sie nach Brüssel und starteten dort Studio-Experimente mit Retro-Klängen und —Equipment. Der Soundtrack für eine Modenschau gab ihrer Karriere dann den Kick. Fortan mixten sie als Gare Du Nord Jazz, Blues und Latin, wie in "How Was It For you?" (9), das mit einer Feldaufnahme aus dem gleichnamigen Pariser Bahnhof einsetzt und dann in eine bläser- und gitarrenverfeinerte Bossa-Adaption einschwenkt.

Hitchcock-Freaks werden sich sicherlich an den Sound des Theremins erinnern, das mit seinen flatternden Electronics für wohlig gruselige Stimmung sorgt. Der russische Urvater des Synthesizers (1919 von Leon Theremin erfunden) wird in "El Ultimo Habitante Del Planeta" (10) äußerst effektvoll eingebracht. Über den schlurfenden Bossa-Beats des Schlagzeugbesens und dem grummelnden Piano-Ostinato erhebt sich dann schließlich die Alt-Stimme von Gema Corradera, die uns erzählt, wie der letzte Einwohner der Erde sich über die Gestaltung seines Abends Gedanken macht. Originell aufgefüllt wird das Arrangement durch eine Bassklarinette. Diese meisterliche Miniatur-Groteske mit B-Movie-Atmo ist eine Geburt des Spaniers Nacho Mastretta, einem Musiker, der zunächst hin- und hergerissen war zwischen klassischem Piano-Studium und Punkbands. Mit Filmmusiken, Jingle-Kompositionen und einem einzigartigen Gespür für die Vermählung vond Electronica und Jazz fand er in Madrid später seine eigene Perspektive — und das wird vom iberischen Publikum durchaus goûtiert.

Ein letzter Ausflug ins mediterrane Chill Out-Reich: das Sextett Bandabardo um die beiden Gitarristen Enrico Enriquez Greppi und A.M.Finaz ist normalerweise eher im Alternative Rock- Bereich tätig, doch ein Seitensprung ins Loungige dokumentiert das vielfältige Potential der originellen Undergroundband aus Italien. "Non Sarai Mai" (11) kombiniert einen sehr freien Reggae-Groove mit Surf-Gitarren und einem augenzwinkernden Text: "Du wirst nie ein Sänger mit Sonnenbrille sein, eine Beute für einsame Damen, nach dir wird niemals ein öffentlicher Platz benannt werden, du lachst lediglich über die Geschäftswelt, du nimmst nicht einmal dich selbst wahr."

Mit einem verführerischen "Voulez-Vous" (12) aus der sinnlichen Kehle der Sängerin Olga Jankovski locken die Niederländer Gerry Arling und Richard Cameron zum Ausklang der entspannten Rundtour. Kultivierter Kitsch ist ihr Fach und dazu bemühen die beiden Anklänge an den Altmeister des Easy Listenings, Burt Bacharach, genauso wie Blaxploitation- und Soft Rock-Sounds. Mit ihren chicen Retro-Kreationen hat sich das Duo im Laufe der Neunziger in etliche Soundtracks (u.a. "Austin Powers") und TV-Werbespots geschlichen. Darüber hinaus mischten sie bei den japanischen Lounge-Stars von Pizzicato Five und der brasilianischen Neuentdeckung Bebel Gilberto mit.

Die Fortsetzung von Putumayos erfolgreichem Vorstoß in die World Lounge (EXIL 1622-2) fördert also auch für deutsche Ohren noch so manch Unerhörtes zutage. Und extrahiert aus dem Alten Europa eine neue Weisheit: Die Club Crowd des 21. Jahrhunderts goutiert den eleganten und fruchtigen Stilcocktail mit cooler Attitüde, aber viel leidenschaftlicher Substanz.

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