Global Soul

EXIL 2205-2
VÖ: 06.01.2003
DISTRIBUTION: INDIGO

 

"Wir singen den Soul verkaufter Seelen, die vergänglich sind, nie mehr aufersteh‘n, feiern uns‘re Viertelstunde Fame, es heißt ‚capitalize‘ um den Preis deines Geists", singt Joy Denalane, Shooting Star des deutschen R&B im Jahre 2002. Die selbstkritische Berlinerin ist nur eine der vielen ProtagonistInnen des weltweiten Soul-Siegeszuges der längst Seoul, Sao Paulo und den Senegal erreicht hat. Von dem allerdings bekommen wir wenig mit. Auf den hinlänglich bekannten Clip-Kanälen dominieren meist Rapper und Diven, deren Aussage sich zwischen unverblümten Anzüglichkeiten und flachem Herzschmerz einpendelt, sie führen uns durch millionenschwere Villen und die ehemals propagierte "Seele" scheint in den dazugehörigen Pools baden zu gehen.

Andererseits tun sich nun auch Namen hervor, die eine neue credibility in den Soul einführen: India.Arie, Alicia Keys oder Lauryn Hill holen sich ihre lyrischen Inspirationen wieder aus den Siebzigern, verblüffen durch kreatives und handwerkliches Songwriting, bei alldem bedienen sie sich der aktuellen production skills. Und es sind diese Namen, die von Rio über Daresalaam bis nach Fernost Verbündete haben. Afrikas Musiker erobern dabei nur ein Genre zurück, das ohnehin eng mit ihrer eigenen kulturellen Identität verknüpft ist. In Japan und Korea findet die Jugend Gefallen an souligen Melodien, wie man bei der offiziellen WM-Hymne im Sommer 2002 überrascht feststellte. Und in Deutschland, Frankreich und Italien regen sich — oft ausgehend von den arabischen und afrikanischen Communities — neue urbane Fusionen zwischen HipHop und Soul. Als wohl erstes Label überhaupt wagt Putumayo den Soultrip rund um den Globus und setzt damit den zeitgemäßen Trend fort, der äußerst erfolgreich mit den Latin-, Arabian- und Asian Groove-Kompilationen begonnen hat.

Das Trio Melgroove startet mit einem Liebeslied ohne affektiertes Gehabe. MPassi und N’Dee, die zwei Frontdamen der Formation mit Wurzeln in der Demokratischen Republik Kongo, legen sanfte R&B-Melodien über einen HipHop-Groove. MPassi ist ebenso bekannt von der kongolesischen Band Bisso Na Bisso, die pionierhaft afrikanische Rhythmen mit der urbanen Realität der Metropole Paris verknüpft hat. Mit "J’attendrai" vertreten Melgroove die fast unüberschaubare Black Music-Szene an der Seine.

Soul aus Seoul - daß diesmehr als ein pfiffiges Wortspiel sein kann, demonstrieren Yoon Mi Rae alias Tasha und Bobby Kim. Seit einiger Zeit schon hat das Genre den fernöstlichen Plattenmarkt erobert und - obwohl stark am anglo-amerikanischen und europäischen Vorbild orientiert - es gelingt den dortigen Musikern, die Landessprachen fließend in ihre Songs einzubauen. Koreanisch zu HipHop-Mustern? Überzeugen kann man sich von der gelungenen Fusion in "Beyond the ocean", einem Duett mit reichen Naturbildern: "Durch den Wald, wo das Sonnenlicht scheint, heisst mich die Welt wilkommen. Kann ich meine Erinnerungen zurückerlangen, bis ich das Tor zum Garten öffnen kann? Nur Sorge ist in meinem Herz."

Von der Rockröhre über die Disco-Queen zur Sambafunk-Lady - solcherart ist die schillernde Wandlung der Fernanda Abreu. Die Carioca sorgte in den Achzigern mit der Band Blitz für Überraschungserfolge und hat 10 Jahre später - nach ihrem Disco-Zwischenspiel - eine packende Mischung von Soul, Funk und Samba geprägt. Auf ihren Alben wurde sie von Prominenz wie Chico Science oder Carlinhos Brown unterstützt. Ihr neuestes Werk Entidade Urbana beherbert neben straightem Copacabana-Funk auch den Faulenzer-Song "Eu Quero Sol" ("Ich will Sonne"), der einen Nachmittag an Rios Stränden unter glühender Sonne heraufbeschwört.

Der provokante Name Bruno Doc Gyneco hat dem Pariser Rapper den Beinamen "französischer Eminem" eingebracht. Der Mann mit karibischen Vorfahren ist aber nicht nur vulgärer Rebell, sondern verfügt über subtilen Humor, scharfsinniges Vermögen zum sozialkritischen Kommentar und zaubert griffige Arrangements. Sein erstes Album ließ er in L.A. von Ken Kessie (En Vogue) produzieren und konnte in Frankreich gleich einen platinumgekrönten Erfolg verbuchen. Im Text zu "Caramel" geht es beinahe surreal zu: "Ich habe mir die Farbe Karamel gegriffen, gib mir ein paar Blättchen und eine Zigarette um sie zusammenzumixen, um die Erde unter einer grünen Sonne zu bewegen."

Wie viele afrikanische Imigranten an der Seine startete die Kamerunerin Kaissa ihre Gesangskarriere im Backgroundchor der großen Afro-Popstars Salif Keita, Manu Dibango und Papa Wemba. Außergewöhnlich aber ist ihr Sprung nach New York im Jahre 1996, wo sie seitdem an ihrer Solo-Karriere bastelt und über eine eigene Band verfügt. "Nika Pata Lamba" bietet mit seinen sparsamen Arrangements eine wunderbare Produktionsfläche für Kaissas warmes Timbre und enthält in ihrer Muttersprache Douala sanfte Ratschläge: "Pass besser auf, was du sagst, denn du weißt, das Leben ist eine lange Reise, und deine Worte können wieder auf dich zurückfallen, also verbreite keinen Gossip, eines Tages könntest auch du verurteilt werden."

Khalid Mohammed hat sich selbstbewusst das Pseudonym "Top In Dar", kurz TID, verpasst. Dar steht für die Hauptstadt Tansanias, Daresalaam, wo man sicherlich nicht ohne weiteres eine starke Soul-Szene vermuten würde. Doch der ehemalige Rapper Mohammed, der gerade sein Debüt fertiggestellt hat, schenkt uns mit "Zeze" einen funky Einblick in das R&B- und Hip Hop-Treiben, das am Knotenpunkt zwischen arabischer und schwarzafrikanischer Kultur schon seit mindestens einem Jahrzehnt gedeiht.

Wie Jazz-Liebhabern bekannt ist, hat sich die große Chanteuse Dee Dee Bridgewater schon seit langem in der französischen Hauptstadt eingerichtet. Folgerichtig ist auch ihre Tochter China in der dortigen Musikwelt verwurzelt. Die Karriere des Bridgewater-Sprosses erstreckt sich auf viele Stränge der Pariser R&B- und HipHop-Szene, daneben tourte sie bereits mit Neneh Cherry. In "Time" kann man die aparten Basslinien von Chinas Freundin Michelle N‘degeOcello vernehmen.

Und die gerade erwähnte Cherry kommt nun tatsächlich zum Zuge: finanziert von Marley-Entdecker Chris Blackwell brachen 1 Giant Leap alias Duncan Bridgeman und Jamie Catto (ex-Faithless) vor wenigen Jahren mit einem mobilen Studio auf, um auf dem gesamten Erdball Künstler vor dem Mikro zu versammeln und mit ihnen — im Geiste des "One World One Voice"-Projektes — ein kulturelles Patchwork zu erarbeiten. In "Braided Hair" haben sich der Rapper Speech von Arrested Development, Cherry und die Native Americans Ulali zu einer souligen Hymne mit ethnischen Tupfern zusammengefunden.

Als zweite Vertreterin des brasilianischen Tropen-Funks betritt Arícia Mess die Bildfläche. Noch nicht so bekannt wie Kollegin Fernanda Abreu kann sie doch schon mit prominentem Teamwork aufwarten: Lenine und Rio-Rocker Pedro Luís haben schon mit der Newcomerin kollaboriert. "Tentei" ("Ich habe es versucht") bietet entspannten, akustischen Funk mit einem Hauch von Sade-Reminiszenz.

Italiens starke und lebendige HipHop-Szene legt vor allem auf bissige Kommentare zur politischen Lage Wert. Eine interessante Variante hierzu offenbart sich im Beitrag von Traccia Mista. Ihren Sound schmieden sie aus einer cleveren Kombination von akustischen Instrumenten und turntable skills des DJ Rico. Außerdem legt das Quartett in seiner Arbeit mit dem französischen Alliance Ethnik-Rapper K-Mel Zeugnis von mediterraner R&B-Bande ab. In "Senza Trucco" geht es in geschmeidigem Rap sehr spirituell zur Sache: "Wasser ist unter der Brücke hindurchgeflossen, doch ich bin noch immer durstig, vor mir sehe ich Licht für alle, die noch auf diesem Pfad reisen, in meinem Glauben finde ich meine Stärke."

Melanie Renaud aus Quebec wuchs als Adoptivkind in Montreal auf, ihre Wurzeln allerdings, die auf Haiti liegen, konnte sie nie vergessen. Auf ihrem Debüt-Album überrascht sie mit einer packenden Koppelung aus Neo-Soul, Quebec-Pop und einer Spur karibischen Erbes. "Du kannst meine Worte übersetzen, du kannst mit ihrer Bedeutung spielen, nimm meine Stimme, meine Texte, meine Songs, aber du wirst nicht meinen Namen und meine Seele haben, du wirst nicht meine Haut haben", ist ihr selbstbewußtes Statement in "Ma Peau".

"Bis zur höchsten Stufe des Vergnügens" - dieser Superlativ verbirgt sich hinter dem Wolof-Namen Saf Sap einer pan-afrikanischen Formation aus Marseilles. Mitglieder aus dem Senegal, aus Guinea, Kamerun, Benin und Frankreich steuern einen wichtigen Beitrag zur pulsierenden Musiklandschaft der Einwanderer Südfrankreichs bei, verschmelzen westafrikanisches Vokabular mit Soul, HipHop und R&B."Nit Kit" ("der Immigrant") ist ein selbstproduzierter Track, der ihr Credo zusammenfasst: "Bleib dir treu, kultiviere deine Roots, aber greife auch die Einflüsse um dich herum auf, dann wirst du von beiden Seiten profitieren."

Joy Denalanes erster Longplayer namens "Mamani" ging im vergangenen Sommer als Eruption durch die deutsche Musikszene. Nie zuvor fokussierte eine deutsche Sängerin aus der Neo-Soul-Generation derart treffsicher urbane Alltagserfahrungen. In ihren Songs verbindet sie eine Rückbesinnung auf den Funk und Soul der Siebziger mit südafrikanischen Farben als Reverenz an ihre Familie väterlicherseits. So glänzen auf dem Album unter anderem Gastmusiker wie Hugh Masekela und die Mahotella Queens. Unüberhörbar auch Denalanes Hang zur engagierten Auseinandersetzung mit politischen und sozialen Mißständen - wie in "Höchste Zeit" bleiben hier auch Kollegen aus den eigenen Reihen nicht vor Kritik verschont. Wenn Soul noch wirklich mit "Seele" im eigentlichen Sinne übersetzt werden kann, dann in Denalanes Liedern.

"Global Soul" zeigt: unabhängig vom US-Diktat existieren nicht nur exotische, sondern auch griffige Lösungen, R&B, HipHop und Soul jenseits schneller Kohle, schicker Autos und schnieker Mädels neu zu definieren. Es war auch höchste Zeit.

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