Putumayo Presents:

Calypso

 

EXIL 1819-2 VÖ: 18.11.2002 DISTRIBUTION: INDIGO

Abgesahnt haben die anderen. Nachdem die Amerikaner im Laufe des Zweiten Weltkrieges auch auf Trinidad gelandet waren, wurde die Musik der südlichsten Karibikinsel kurzzeitig zur Modeerscheinung. Louis Armstrong sang sein "High Society", die Andrew Sisters adaptierten Lord Invaders "Rum And Coca-Cola" und der in New York geborene Harry Belafonte verkaufte von seinem "Banana Boat Song" reichlich Platten auf dem internationalen Markt. Doch so schnell der Boom kam, so nachhaltig verschwand er auch wieder. Ska und Reggae aus Jamaika, Salsa und Son aus Kuba gelangten in die Kaufhausregale und verdrängten zu ihren Gunsten die Melodien aus Trinidad und den Bahamas. Calypso gilt daher noch immer als Geheimtipp für intelligente und mitreißende Tanzmusik. Grund genug, mal in den Archiven nach Entdeckungen zu forschen.

Calypso war zunächst Teil der volksmusikalischen Traditionsbildung. Frühe Sänger des vormedialen Zeitalters wie Roaring Lion packten in ihre Lieder eine Vielzahl von nützlichen Informationen und Inselgerüchte, die die jeweiligen Zuhörer auf dem Laufenden hielten. Stilistisch und strukturell bezog sich die Musik auf westafrikanische Work Songs wie den "Gayup", der auf Plantagen und in Fischerdörfern gesungen wurde. Da gab es sogenannte "Chantwells", die als Vorsänger und Vorarbeiter mit ihren Melodien den Takt der Arbeit bestimmten. Sie kommunizierten in Frage-Antwort-Mustern mit den übrigen Beteiligten und formten die Grundmuster des traditionellen Calypsos. Das Wort selbst ist wahrscheinlich eine Abwandlung des westafrikanischen "kaiso!", eines Ausrufs zur Aufmunterung vergleichbar dem spanischen "olé" oder dem europäischen "bravo".

Jedenfalls vermischten sich die ursprünglichen Vokalformen im Laufe des 19. Jahrhunderts mit kreolischen Karnevalstraditionen, den Canboulay-Liedern des afrikanischen Erntedankfestes, überhaupt einer Vielzahl von einzelnen Stilimpulsen aus dem kolonialen Kulturengeflecht. Sie beeinflussten ihrerseits die jamaikanischen Mento-Barden, den Ahnherren von Ska und Reggae, ebenso wie verschiedene musikalische Territorien etwa auf den Bahamas und auf Kuba. Zu den wichtigen Bestandteilen der bald vor allem während der Karnevalswochen ausgetragenen Wortgefechte konkurrierender Calypso-Sänger, den sogenannten "Picongs", gehörten zusätzlich zu den "Gayup"-Mustern und verschiedenen kolonialen Klangbezügen spanischer, französischer und britischer Tradition auch Trommelpassagen, die neben afrikanischer Perkussion auf die eigens erfundenen, aus Ölfässern gefertigten Steeldrums zurückgriffen. Calypso war daher sowohl eine in den Volkstradition verwurzelte Partymusik als auch ein Sprachrohr politischen und sozialen Engagements. Immer wieder wurden einzelne Lieder verboten, weil die Sänger in ihren Texten deutlich politisch oder übertrieben sexistisch Stellung bezogen.

Calypso war streitbar. Aber von seiner musikalischen Leichtigkeit und Vitalität ging eine enorme Faszination aus. Bereits 1912 entstanden die ersten Aufnahmen. Mit den amerikanischen Soldaten kamen auch Musikfans ins Land, die sich um die südkaribische Klangwelt verdient machten. Einer davon war der Unternehmer Harold Doane, der in den spätern Vierzigern begann, für sein Label ART Records Calypso-Künstler aufzunehmen. Er brachte Erfahrungen aus dem Film-Business mit und zog durch die Lande, um auf Trinidad und den Bahamas nach Interpreten zu suchen, die neben den erfolgreichen nordamerikanischen Trendvorreitern sich die Originalität der Musik erhalten hatten. Die meisten Lieder dieser Zusammenstellung entstammen daher dem ART-Records-Archiv und belegen mit fröhlicher und humorvoller Leichtigkeit, dass der Calypso der fünfziger Jahre zum Abgefahren-sten gehört, was die damalige Popularmusik zu bieten hatte.

George Symonette stammte von den Bahamas. Der Pianist und Sänger nahm in den Fünfzigern mehrere Platten für ART Records auf und zeichnete sich vor allem durch seine klare Stimme und den humorvollen Umgang mit Arrangements aus. "Touch Me Tomato" (1) ist ursprünglich ein bekanntes Mento-Lied und beschreibt den vorsichtigen Umgang mit dem Gemüse als verdecktes Liebeslied mit erotischen Anspielungen. Glaubt man Bob Marleys Mutter gehörte der Song zu den beliebtesten Melodien im Hause des Reggae-Ahnherrn.

Calypso Mama hieß eigentlich Maureen Du Valiera und war bekannt für ihre stilübergreifenden Interpretationen mit jazzigen Einflüssen. Als Kind von berühmten Vorgängern wie Lord Kitchener beeinflusst, hat sie sich als Frau in der Männerdomäne behaupten können, indem sie den schlüpfrigen Texten mancher Kollegen deutliche sexuelle Aussagen gegenüber stellte. "Yes, Yes Yes" (2) ist ihre Version des New-Orleans-Klassikers "Basin Street Blues" mit durchaus kunstvoller, mehrdeutiger Neufassung der Lyrics.

The Jolly Boys sind eine der renommierten Mento-Combos und verbinden souverän die Klangtraditionen Jamaikas und der Bahamas. Sie gründeten sich bereits in den Vierziger Jahren und wurden schnell vom Geheimtipp auf Prominentenpartys zum gefragten Live-Act. Als der Reggae die Szene zu dominieren begann, gerieten die Jolly Boys in Vergessenheit und verdienten ihren Lebensunterhalt als Night Club Combo im Trident Hotel von Port Antonio. "Take Me Back To Jamaika" (3) ist ein charmanter Mento der Gegenwart in Originalinstrumentierung mit Banjo, Gitarre, Kalimba, Bongos und Klavier, ein aktuelles Schlaglicht auf die Vielfalt der Klänge, die vor Bob Marley die Karibikinsel bestimmte.

 

Irene Williams war die Tochter des amerikanischen Bluessängers Clarence Williams und stand bereits als junges Mädchen auf der Bühne. In Chicago, Toronto, Cleveland sang sie mit dem Chillison Trio, anno 1954 feierte sie Erfolge als Bess in Gershwins Musical-Oper "Porgy and Bess". Gemeinsam mit ihrem Bühnenpartner Leslie Scott nahm sie für ART Records in den Fünfzigern ein Album mit dem Titel "Come To The Carribean" auf, das auch "Crazy Like Mad"(4) enthielt. Im Hintergrund übrigens kann man den jungen Ernest Ranglin hören, der sich bald darauf zu einem der wichtigsten Jazz-Gitarristen Jamaikas entwickeln sollte.

Black Alphonso Higgs alias Blind Blake (5) gehörte in den Fünfzigern zu den profiliertesten Sängern auf den Bahamas. Man kannte ihn als musikalisches Empfangskomitee am Flughafen von Nassau, aber auch als Künstler im Nachtprogramm des Royal Victoria Hotels. In Jugendjahren erblindet, entwickelte er sich zum produktiven Songwriter und begann anno 1951, für Art Records ins Studio zu gehen. Seine markante Stimme und die pointiert reduzierten Arrangements seines Quintetts machten ihn zu einem der führenden Künstler seines Fachs.

Calypso-Sänger schmückten sich gerne mit Pseudonymen wie "Lord" oder "Mighty" als Anspielung auf die Konkurrenzsituation der Picong-Wettbewerbe. Lord Composer hieß mit bürgerlichem Namen Omri Mundel und "Linstead Market" (6) ist ein jamaikanisches Volkslied im regionalen Patois-Idiom. Es erzählt die Geschichte eines frustrierten Händlers, der seine Ackee-Frucht auf den Markt bringt, aber keine Käufer dafür findet.

King "Mighty" Sparrow (Francisco Slinger)(7) ist der bekannteste Calypso-Star der Nachkriegszeit auf Trinidad. Obwohl auf Grenada geboren, gilt er als Einheimischer und hat bereits in den Fünfzigern mit deutlichen, kritischen Texten eine große Fanschar hinter sich versammeln können. Er engagiert sich politisch für People’s National Movement und vollzog als einer der ersten Künstler behutsam den stilistischen Übergang zur Soca, der tanzbaren Nachfolgestilistik des Calypso. Er nahm über 70 Alben auf und kann, immer noch aktiv, auf mehr als 40 Jahre aktive Bühnenerfahrung zurückblicken.

The Percentie Brothers stammen aus Harbour Island auf den Bahamas. Ihr Vater Reverend "Papa" Percentie war bekannt dafür, seine Messen in der lokalen Kirche mit Gitarre und strahlendem Gesang zu begleiten. Anthony, Victor, Herman und dessen Sohn Newell fanden sich nach profunder volksmusikalischer Sozialisation zu einem eigenen Trio zusammen, das auf traditionellen Instrumenten sich der musikalischen Überlieferung annahm. "Goombay Drum" (8) ist nach einem regionalen Musikstil benannt, der vor allem zur Karnevalszeit gespielt wird, und bezeichnet außerdem eine aus einem Fass gefertigte Trommel, die während der Junkanoo-Umzüge Verwendung findet. "J.P. Morgan" (13) wiederum erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich gegen den verschwenderischen Lebenswandel seiner Frau durchzusetzen versucht.

Lord Beginner wurde 1940 als Egbert Moore geboren. Er begann bereits in den Zwanzigern zu singen und gehörte mit Kollegen wie Attila The Hun und Growling Tiger zu den Pionieren der ersten Calypso-Welle, die in den Dreißigern New York erfasste. Anno 1948 emigrierte Lord Beginner nach England, lebte daraufhin in London und Lissabon und nahm bis zu seinem Tod 1980 zahlreiche Alben auf. "Fed-A-Ray" (9) von 1953 ist eine Hommage an die afrikanischen Ursprünge des Calypso. Es erzählt mit viel perkussivem Beiwerk und auffällig authentischen Call-And-Response-Schemata die Geschichte des Gottes Fidaré, der seine Anhänger beschützt.

Garfield Blackman war ein großer Mann. Deshalb nannte er sich mit ironischem Unterton Lord Shorty. Er gehörte seit den sechziger Jahren zu den prominenten Calypso-Sängern auf Trinidad, lernte aber sein Handwerk zunächst in Steel bands, bevor er als eigenständiger Künstler den Karrieresprung schaffte. Die ersten Jahre waren von zahlreichen anzüglichen Hitsingles geprägte, seit den Achtzigern jedoch entdeckte er auch seine spirituellen Seiten. Shorty starb anno 2000. Sein Song "Kim" (10) handelt von den Sorgen eines chinesischen Vaters, der seine schwangere Tochter zur Rettung der Familienehre unter die Haube bringen will.

André Toussaint kam ursprünglich aus Haiti, ließ sich aber 1953 auf den Bahamas nieder. Obwohl er anfangs kein Wort English sprach, brachte er es als Sänger schnell zu lokaler Berühmtheit. Toussaint trat regelmäßig in Nassaus Kneipen auf und wurde vor allem wegen seines Sprachkauderwelschs und seiner kuriosen Medley geschätzt. Auch "Little Nassau / Bahama Mama" (11) ist eine Zwangsfusion zweier in den Fünfzigern beliebten Hotelbarsongs, die in dieser Version einen charmant jazzgetönten Rahmen bekamen.

Vernon J. Roberts war einer der legendären Songwriter des authentischen Calypso, der unter dem Pseudonym Mighty Panther vor allem in den Fünfzigern zahlreiche Ohrwürmer komponierte. "Barbados Carnival" (12) gehörte zu seinen größten Hits und wurde von Kollegen wie Lord Kitchener und Mighty Sparrow gecovert. Nach seiner Karriere im Show Business zog es ihn nach New York, wo er als Sozialarbeiter die persönliche Erfüllung fand.

Limbo ist ein Tanz westafrikanischer Herkunft, bei dem sich die Beteiligten zu flirrenden Rhythmen unter einem horizontalen Stock hindurchbiegen müssen. Er wurde in den Sechzigern international populär und beeinflusste musikalisch spätere Modewellen wie Lambada und Macarena. Über den Sänger Frankie Anderson allerdings, der in den frühen Fünfzigern den "Limbo Song" (14) für ART Records aufnahm, weiß man heute so gut wie gar nichts mehr.

Delbon Johnson sang regelmäßig in Nassauer Nightclubs mit seiner Entertainment-Combo Dirty Dicks. Er nahm ein Album für Art Records auf, präsentierte sich als ausgezeichneter Songwriter und eher mittelmäßiger Sänger. Ansonsten bleibt er — trotz des eingängigen "It‘s Always Spring Time in Nassau" (15) — einer der vielen Unbekannten der unerschöpflichen karibischen Musikszene.

 

zurück zur EXIL Homepage
Presse-Infos
oder zum Gesamtkatalog

© EXIL MUSIK GmbH - 91593 BURGBERNHEIM - T 09843-95959 - F 09843-95900 - email: office@exil.de
Abdruck für Presse & Online-Medien erlaubt, Belegexemplar bzw Link erwünscht