Exil Musik presents

BIG MEN

Raï Meets Reggae

EXIL 1271-2
LC 08972
VÖ: 28.01.2002
DISTRIBUTION: INDIGO

Genau genommen ist das Radio an allem schuld. Denn bis zum Ende der vierziger Jahre waren die meisten Jamaikaner mit der Klangtradition im Reinen und hörten populäre Mento-Musik oder exilafrikanische Überlieferungen. Als aber die Transistoren billiger wurden und die Begehrlichkeiten wuchsen, entstanden auch die Bedürfnisse, der missionierenden amerikanischen Konsumkultur etwas entgegen zu setzen —vom Soundsystem bis zum Dub. Also haben Reggae und Raï nicht nur den Spaß am Spiel gemeinsam, sondern auch den popmusikalischen Ansporn, es besser und anders zu machen als die akustischen Kolonisatoren. Denn ähnlich wie in Kingston hörte die algerische Jugend von Oran die Verheißung aus den Charts und modifizierte sie auf der Grundlage eigener Hörerfahrungen zur arabisch geprägten Popmusik mit westlichen Klanganleihen. Gemeinsam haben sich die Trendsetter aus der Karibik und Nordafrika allerdings bislang kaum vor die Mikrofone gewagt. Zeit für einen neuen Anfang.

Martin Meissonnier ist ein bunter Vogel unter den international erfolgreichen Produzenten. Er betreibt sein Business nach dem Lustprinzip und kümmert sich um das, was ihm selbst am besten gefällt. Seine Vorlieben liegen in Afrika, aber sie sind nicht auf den Schwarzen Kontinent fixiert. So kommt es, dass sich von Femi Kuti, Papa Wemba und King Sunny Ade über Khaled, Don Cherry und Alan Stivell bis hin zu Jimmy Page und Robert Plant internationale Künstler schon von ihm helfen ließen. Meissonnier ist Visonär, Dokumentarfilmer und Initiator des ersten wesentlichen Raï-Festivals 1986 in Paris. Und er ist die erste Wahl, wenn es darum geht, zwei unabhängig voneinander funktionerenden Klangwelten eine gemeinsame Form zu geben. Denn dafür braucht es künstlerische Sensibilität und ein profundes Wissen über die Besonderheiten der musikalischen Charaktere, die sich nicht einfach nach dem Zufallsprinzip kombinieren lassen. Die Idee von "Big Men" jedenfalls war einfach und bestechend: Man nehme eine hervorragende, über jede stilistische Anfechtung erhabene Rhythmusgruppe (Sly Dunbar & Robbie Shakespeare), miete ein Studio in Kingston und lade die Gäste in verschiedenen Besetzungen vor die Mikrofone. Das Risiko war groß, denn niemand konnte vorhersehen, ob die Vibrations stimmten. Doch Meissonnier hatte mit Künstlern wie Gregory Isaacs, Horace Andy, U Roy auf der jamaikanischen und Anouar, Khaled oder Larbi Dida auf der algerischen Seite genügend herausragende Charaktere auf seiner Seite, die ein Mindestmaß an Qualität der Aufnahmen garantierten.

Als es schließlich losging, waren alle Zweifel verflogen. Denn es trafen sich jeweils ein Dutzend Raï- und Reggae-Koryphäen und hielten 14 Stücke auf Bändern und Harddisks fest. Meissonnier wurde vor Ort von Guillaume Bougard unterstützt, der sich als Gründer des Labels Tabou1 vor allem in Frankreich um den Sound aus der Karibik verdient gemacht hatte. Das Team funktionierte, die Aufnahmen wurden famos. Der Produzent griff sogar selbst zur Gitarre, schrieb Lieder und beauftragte Boris Bergman, Paul Ives und Karmel Hamadi, fehlende Texte zu ergänzen. Alles in allem kehrten Meissonnier & Co mit wegweisendem Material nach Paris zurück. Es war etwas gelungen, was es bislang noch nicht gab: Raï und Reggae hatten zueinander gefunden, ohne dass einer der Partner dominierte. Die Leichtigkeit der Musik, aber auch die Direktheit der Texte blieb erhalten. Die Verknüpfung arabischer Melodielinien mit dem Off-Beat Jamaikas wirkte sogar derart überzeugend, als hätten die Popkulturen aus zwei verschiedenen Regionen der Welt schon immer zusammengehört.

 

Who Is Who on "Big Men"

Aïssa Jermouni (1886-1946) ist einer der Pioniere des Rifi-Stil. Er sparte bereits in den Zwanziger Jahren nicht mit deutlichen Worten gegen den Kolonialismus und veröffentlichte 1928 "Chaoui Music", die Grundlage der Samples von Horace Andy. Jarmouni schaffte es bis ins Pariser ‚Olympia’, als junger Mann wie auch als arrivierter Gesangsstar der Dreißiger. Seine Stimme, sagt man, soll die Frauen förmlich verzaubert haben (‚Positive’ mit Horace Andy).

Anouar gehört zur jüngeren Generation der Raï-Sänger. Geboren 1974 in Oran als eines von fünf Geschwistern, begann er bereits mit zwölf Jahren seine Karriere mit Unterstützung seines Onkels, des Produzenten Rachid Baba Ahmed. Anno 1989 sang er die erste Version von "Amour Secret" mit Khaled im Duett. Mit Blick auf die islamischen Fundamentalisten und deren gewaltsames Vorgehen gegen einige seiner Freunde zog er es vor, einen Großteil seiner Zeit in Frankreich zu verbringen. (‚Amour Secert’ mit Lisa Danger).

 

Anthony Ray ist 23 Jahre alt und eines der großen Gesangs-Talente Jamaikas. Auf Empfehlung Alton Minotts erschien er während der Big Men-Sessions im Studio und wurde von Meissonnier quasi vom Fleck weg engagiert. Seine beeindruckend brillante Stimme sorgte dafür, dass er auf zwei Liedern des Albums vertreten ist (‚Aïch Rebel Sun’ mit Khaled und ‚Marvelous’ mit Lamine).

Chaka Demus & Pliers wurden schlagartig bekannt, als sie 1992 ihr Album "Tease Me / All She Wrote" veröffentlichten. Egal ob Cover-Versionen wie Curtis Mayfields ‚She Don’t Let Nobody’ oder auch eigene Kreationen, die beiden gelten als Quersumme von Rock und Ragga mit reichlich Pop-Appeal (‚Finger On The Trigger’ mit Chebba Warda).

Chevelle Franklin ist in Jamaika schon lange keine Unbekannte mehr. Sie hat mit vielen Reggae- und Dancehall-Größen gearbeitet, etwa mit Shabba Ranks bei ‚Mister Loverman’ und Beenie Man für das Titelstück des Films ‚Dancehall Queen’ (‚A Love I Can Feel’ mit Tarik).

Djelloul erlebte in den vergangenen Jahren den langsamen Niedergang der Freiheit in seiner algerischen Heimat, die nicht nur mit dem Mord an seinem Sängerkollegen Cheb Hasni 1994 offensichtlich wurde. Seinen bislang größten Hit hatte der 26-jährige mit ‚Maalich — ça ne fait rien’, das allein in Algerien mehr als eine Million mal verkauft wurde (‚Never Gonna Let You Go’ mit Glenn Ricks).

Fadela hatte bereits 1979 angefangen, den traditionellen Gesangsstil modern verpackt der algerischen Jugend zu präsentieren. Gefördert von dem Trompeter Messaoud Bellemou, gelang ihr 1985 der Hit ‚N’Sel Fik’. Nicht zuletzt die Arbeit mit ihrem damaligen Ehemann Cheb Sahraoui machte sie zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten des Raï (‚Artificial Tears’ mit Leroy Sibbles).

Glenn Ricks ist eigentlich einer der versiertesten Songwriter und Sänger der alten Reggae-Schule. Warum er es trotz seiner Mitwirkung bei Combos wie "Soul Funk" und "Crack O’Dawn" nicht aus dem Schatten von bekannten Kollegen wie Dennis Brown heraus geschafft hat, gehört zu den Rätseln der jamaikanischen Popmusikgeschichte (‚Never Gonna Let You Go’ mit Djelloul).

Gregory Isaacs hat im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte auf rund 250 Alben mitgewirkt. Seine samtene Stimme steht für den Charme des Originalen, der noch durch den Mann am Mischpult unterstützt wurde. Immerhin mixte Godwin Logie bereits zwanzig Jahre zuvor Isaacs Klassiker-Album "Night Nurse" (‚I’ll Be The One’ mit Miana).

Horace Andy wurde vor allem durch seine Arbeit mit Massive Attack bekannt. Seit 30 Jahren in der jamaikanischen Szene präsent, gehört er zu den grenzüberschreitenden Künstlern mit internationalem Format, der keinen Kulturkontakt zu scheuen braucht und in seiner Heimat mit nahezu jedem reommierte Kollegen bereits kooperierte (‚Positive’ mit Aïssa Jarmouni).

Innocent Kru sind ein Kollektiv vier junger DJs aus dem Stall von Sly & Robbie, die sich mit herben Versen und prägnanten Sounds in der Dancehall-Szene etablieren wollen. Für ‚Big Men’ haben sie ihre Drastik deutlich gezügelt, auch wenn der Aufnahme ein wenig Ghetto-Flair erhalten blieb (‚Oh Girl’ mit Miana).

Kentucky Kid ist gerade erst den Kinderschuhen entwachsen, gehört aber bereits zu den Hoffnungsträgern der agilen Dancehall- und Ragga-Szene. Frech und funky mit Worten, souverän im Umgang mit Sounds, hat er sowohl im Duett mit Kouider als auch im Song von Gregory Isaacs seinen Platz gefunden (‚A 100% A Love’ mit Kouider, Intro von ‚I’ll Be The One’ mit Gregory Isaacs und Miana).

Khaled muss man niemandem mehr vostellen. Er wird als ‚König des Raï’ gefeiert, hat von den frühen Alben an der Seite Safy Boutellas bis zum Hitsong ‚Aïcha’ die internationale Vorstellung von algerischer Popmusik geprägt. ‚Aïch Rebel Sun’ wurde ihm von Karmel Hamadi auf den Leib geschrieben, dem führenden Komponisten der Berber-Tradition seit den spätern vierziger Jahren. Erstaunlicherweise ist das Lied auf "Big Men" die erste gemeinsam Arbeit der beiden berühmten Nordafrikaner (‚Aïch Rebel Sun’ mit Anthony Ray).

Kouider Bensaïd stammt aus Oran, siedelte aber Ende der achtziger Jahre nach Frankreich über. Seine markante Stimme und sein schauspielerisches Talent machten ihn zu einem gefragten Raï-Künstler der alten Schule. Sein Duett mit Khaled 1999 im Rahmen von ‚Oran au Zenith’ gehört zu den Höhepunkten der vergangenen Raï-Jahre (‚A 100% A Love’ mit Kentucky Kid und ‚100% Remix’ mit Simpleton)

Leroy Sibbles schrieb bereits zwischen 1966 und 1971 die Arrangements für die renommierten Studio One Productions und gehörte als Bassist und Songwriter der "Heptones" zu den Urvätern des vom R & B beeinflußten Rocksteady und Roots Reggae (‚Artificial Tears’ mit Fadela).

Lamine hat es von Algier über Paris bis nach Marokko geschafft. Sein traditionell geprägter Raï mit charakteristischem Falsett gehört zu den wichtigen Popstimmen in Nordafrika. Mohamed Lanine lebt inzwischen in der Nähe von Paris und hatte sich seit einiger Zeit mit ungewöhnlichen Stilfusionen beschäftigt, als das ‚Big Men’-Team ihn ansprach. Eine glückliche Fügung (‚Marvelous’ mit Anthony Ray).

Larbi Dida wurde vor allem durch seine Mitwirkung bei der Band Raïna Raï bekannt. Er singt unter anderem beim Orchestre National de Barbès und im Duett mit Istar / Alabina (‚Life’ mit U Roy).

Lisa Danger zählt zur Kategorie Powerfrau. Mit gerade mal 26 Jahren wirkte sie auf dem Pierpoljak-Album "Kingston Karma" mit, wurde von Anouar zur Neuauflage des Hits ‚Amour Secret’ ausgewählt und ist nebenbei Mutter von fünf Kindern (‚Amour Secret’ mit Anouar).

Miana fiel dem internationalen Publikum erst auf, als sie für ein U2-Videoclip eine orientalische Tänzerin mimte. Dabei hatte sie — von Karmel Hamadi unterstützt —bereits eigene Projekte verwirklicht. Versiert in verschiedenen Raï-Stilistiken ist sie eine der ausdrucksvollsten Stimmen dieser Musik und auf zwei Tracks von "Big Men" zu hören (‚I’ll Be The One’, mit Gregory Isaacs und ‚Oh Girl’ mit Innocent Kru).

Simpleton heißt eigentlich Christopher Harrison, entstammt der Soundsystem-Szene und hatte 1991 seinen ersten Hit ‚Coca-Cola Bottle Shape’, dem er 1996 das Duett mit Anthony Malvo ‚Quarter To Twelve’ nachlegte (‚100% Remix’ mit Kouider).

Sugar Minott ist Talentscout und Labelgründer von Black Roots. Er produzierte Musiker wie Yamy Bolo und Garnett Silk und gehört zu den überzeugten Ghettokünstlern, die sich nicht von ihren Wurzeln trennen wollen. Mit Hits wie ‚Buy Off The Bar’ wurde er zur Soundikone der Reggae-Insel (‚Big Man’ mit Tarik).

U Roy hat mehr als vier Jahrzehnte Reggae-Geschichte hinter sich und als DJ, Rap-Pionier, Dancehall-Vorreiter und Dub-Miterfinder deutliche Spuren in der Musikentwicklung der Karibikinsel hinterlassen. Sein erste Begegnung mit Raï fand im Jahr 2000 statt, als er mit Cheb Aïssa auf dessen Album "Seroius Matter" toastete (‚Life’ mit Larbi Dida).

Warda ist Teil der frankoalgerischen Cabaret-Szene in Paris, bezieht sich jedoch deutlich auf die Klangtraditionen ihrer nordafrikanischen Heimat. Das Duett mit Chaka Demus & Pliers ist ihr erster Auftritt auf dem internationalen Parkett

(‚Finger On The Trigger’ mit Chaka Demus & Pliers).

 

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